JA JAWOHL ANSCHREIEN
oder PLÄDOYER FÜR DIE PRAGMATISCHE VERZWEIFLUNG
von Laura Hatting

DISCLAIMER DES DISCLAIMERS: ich unterstütze das hier unternommene projekt der selbstsituierung zwar dahingehend, dass den zweck und die adressierten eines textes voranzustellen eine ganz eindeutige marktlücke innerhalb der sparte „kunstpublikation“ darstellt. ich denke jedoch nicht, dass ein disclaimer über die situation der schreibenden etwas am schreib-archetypen ändern wird (wieso ich das für unwahrscheinlich halte steht weiter unten im text). ich bin gegen identitätspolitik (das wiederum erkläre ich in einem anderen text der weiter unten im text steht) einerseits, sehe mich selbst aber dann doch immer wieder, insbesondere in geldfragen, insbesondere in geldfragen hinsichtlich eigener künstlerischer tätigkeit, so sehr mit einer gewissen idee vom hiesigen schöpferisch tätigen standard konfrontiert, dass es mir entgegen der antiidentitätspolitischen überzeugung dann doch wichtig erscheint ein paar sozioökonomische tatsachen voranzustellen. es folgt also der


DISCLAIMER: hallo, ich heiße laura, ich bin aus leipzig, studiere offiziell bildende kunst an der akademie in wien, aber habe dieser zugunsten eines lebens in der metal-asi-märchenwelt von schneewittchen und one of the boys eigentlich längst den rücken gekehrt. einerseits aus dem pragmatischen grund, dass ich mir das tätigsein in der bildenden kunst wesentlich schlechter leisten kann, und andererseits da misogynie zu affirmieren immer noch leichter ist als so zu tun als läge einem das bildungsbürgertum im blut. ich habe keine nennenswerten elterlichen reserven auf die ich zurückgreifen kann und bin deshalb in diesem korrupten drecksland noch keiner einzigen beschäftigung nachgegangen die nicht auf irgendeiner ebene die menschenwürde (meiner auslegung nach) oder geltendes arbeitsrecht (tatsache) angreift. ich besitze seit meinem 14. lebensjahr einen gewerbeschein, bin inzwischen 27 jahre alt und werde trotzdem gerade noch so weiter von besagten eltern – im ihnen möglichen rahmen – unterstützt, da man mich und meinen wahnsinn für ungefähr die hälfte der zeit nicht allein lassen darf und es sonst jeder tun würde.  ich halte aus familiengeschichtlichen gründen die romantisierung vereinfachter antworten auf die grausamkeit des kapitalismus für lifestyle-linken posermüll und liefere trotzdem selbst solche vereinfachten antworten am laufenden band, da ich ebenfalls finde, dass man differenziertes denken nur jenen aufbürden sollte die sich die zeit dafür kaufen durften, wovon auch dieser text handeln soll da ich, wie ich später im rahmen des textes erklären werde, mich nicht in der lage sehe irgendetwas (wenn überhaupt) außerhalb der eigenen, in diesem moment gegenwärtigen realität zu artikulieren. 

dieser text richtet sich sowohl an gescheiterte möchtegernklassenaufsteiger wie meinesgleichen, genauso wie den oben erwähnten standard-bürgi, der sich dank seiner ebenso erwähnten zeitressourcen wortkotze wie diese zu gemüte führen kann, und sich dabei selbst an dieser stelle des textes noch einen mehrwert erwartet. der text trifft von vorn bis hinten mehr oder weniger keine weitere aussage als „wer das liest ist doof“  und ist in erster linie:

ein text über verzweiflung.



     ich hätte diesen text wesentlich eher schreiben sollen aber konnte nicht. man ahnt es, aus verzweiflung.  

     das thema verzweiflung ist zwar produktiv, verzweiflung jedoch nicht und wird es auch niemals sein. verzweiflung und einsamkeit sind eng verschwistert, deshalb ist verzweiflung die blanke reaktion (angriff oder flucht für die freunde der pathologie unter euch) und lässt nichts außerhalb ihrer eigenen gegenwart zu – was umgekehrt ja der grund ist weshalb es, wie ich in meinem letzten essay fuck being funny bereits als schlussfolgerung behauptete, außerhalb der radikalen gegenwart keine befreiung geben kann.

     da haben mich einige (zurecht? wer weiß? mir egal?) gefragt, was das denn sein soll außer anschreien. ja na genau das, oder zumindest etwas ähnliches. aus dem einfachen grund, dass kein mensch sich solitär befreien kann, das ist ja der knackpunkt der sache, und weil die verzweiflung aber alleinsein als einzige option logisch in sich trägt, und in ihrer art zu sein jede kommunikation über ihre eigene gegenwart hinaus verunmöglicht, bleibt ja nichts anderes übrig als zu versuchen, dass wenigstens die miteinander kommunizierenden parteien annähernd gleich verzweifelt sind.

     weniger romantisch formuliert ist dies also ein vorschlag zur de-segregation, die idealerweise – wenigstens in dem moment in dem sie relevant ist (also keinem außer ihrem eigenen) – nicht nur die unterteilung aufhebt, sondern auch die ungleichen kräfte die da überhaupt erst aufgeteilt haben.

     weniger akademisch formuliert ist dies also ein aufruf völlig enthemmt den niedersten trieben zu folgen wenn einem mal wieder irgendsoein sesselfurzer, schlipsträger, universitätsorgan, lektor, feuilleton-prahlhans, kuratorensohn, arzt oder selbsternanntes sozialgruppenoberhaupt dumm kommt, sofern die situation es mit den konsequenzen mit denen man rechnen kann her gibt; aus der einfachen erkenntnis heraus, dass es (siehe federici für jene die sich mit eben gelisteten gruppen identifizieren können) unter den hierarchien keine empathie geben wird da sie (siehe meine behauptung) nicht die gleiche verzweiflung teilen, und verzweiflung sich genau deshalb nicht in sprache übersetzen lässt – sondern wohl eher in gewalt.

     denn sprache, kommunikation und all ihre freunde aus der welt der konzepte sind und bleiben eine sackgasse für alle die sich nicht an ihrer schöpfung beteiligen konnten. was sie schließlich ja auch wieder zur gewalt-kategorie macht – DER DISKURS BRAUCHT EINE DIVISION UM SEINEN WERT NEU ZU SCHÖPFEN UND DIESE DIVISION IST DIE KOMPLETTE BANDBREITE DER IDENTITÄT, ARSCHLOCH – nur gehört die eben in die sparte der gewalt durch/als segregation und ist daher eher etwas für die sesselfurzenden kuratorensöhne als für meinesgleichen.

     wer immer noch nicht weiß was ich meine bekommt hier ein beispiel: im kindergarten gab es einen anderen vierjährigen der uns weder verstehen noch sich für uns verständlich artikulieren konnte, und aus diesem grund, und dem dass er einem deswegen – wann immer ihn etwas in bedrängnis brachte – eine reingehauen hat, sehr schnell sehr unbeliebt wurde. an der verschiedenheit der verzweiflung hätte es wohl nichts geändert wenn ich mit vier schon gewusst hätte, dass was der junge da gebrauchte schlicht die einzige waffe war, die er gegen die eigene vereinzelung hatte, nämlich in ermangelung zur verfügung stehender sprache einfach den anderen sprachlos zu machen.

     und gerade weil sprache als gewaltform sich nicht anwenden oder umkehren lässt, ohne dass man selbst zur segregierenden kraft wird, taugt sie nichts für die radikale gegenwart und deshalb auch nichts für die befreiung.

     ich habe selten so einen ausgemachten feuilletonleser-müll gehört wie den, eine folge von zeichen habe einfluss auf die materielle realität, die ja die verzweiflung ist und außer sich selbst sowieso nichts duldet. vonseiten der in die verzweiflung hinein/ aus der sprache heraus segregierten gibt es erstens keine möglichkeit und zweitens keinen grund sich sprachlich wieder „hinein“ – also einfach noch weiter weg – zu unterscheiden (identitätssegregierer hassen diesen trick). anders argumentiert: wäre ich letzten märz nicht nachts auf dem weg nach hause von einem anonymen arschloch krankenhausreif geprügelt geworden, und wäre ich wohl glimpflicher davongekommen, wären misogyne schimpfwörter nicht so normal dass ich selbst jeden beliebigen gegenstand der nicht meinen vorstellungen entsprechend funktioniert „fotze“ nenne? vielleicht. wäre ich nicht von einem anonymen arschloch krankenhausreif geprügelt worden und glimpflicher davongekommen hätte ich schlichtweg besser prügeln können? mit verdammter sicherheit.

     worte sind weder waffen noch sind sie eine verteidigung. worte sind auch kein erlebnis und, verdammte scheiße, worte sind sehr sehr sicher kein aktivismus. möge auch der letzte das bitte in sein feuilleton-hirn prügeln. worte, oder allgemein „kommunikation“ sind eine einzige, kulturell viel zu ernst genommene enttäuschung, mit der sich zwar sehr wohl andere menschen, aber unter keinen umständen die verzweiflung beherrschen lassen.

     also ja, jawohl, anschreien.

     ich weiß nicht was kant davon halten würde, wenn ich meine lebensweise jetzt jedem zur nachahmung empfähle, aber meiner erfahrung nach habt ihr sowieso nichts zu befürchten, dieses ganze ach so gewaltfreie hirntote kinderkarussel das, zitat meme, „nur im notfall anhält und weinen klassifiziert nicht als notfall“ wird euch aus dem eigenen eben genannten prinzip heraus sowieso nichts tun außer euch vielleicht (höchstwahrscheinlich) allein zu lassen und das wusstet ihr vorher schon, im gegenteil, die finden das doch geil wenn sie sich überzeugen können wie gut die mechanik läuft.

     seht mich an, zum beispiel. ich bin der sertralin-suppenkasper der ums buchstäbliche verrecken seine tabletten nicht frisst, um nachfolgenden generationen zu beweisen, dass wir recht haben. recht nämlich mit der einsicht, dass es völlig egal ist, ob du dem amtsarzt-arschloch, das sich seine scheiß bourgeoise praxis damit finanziert für die kasse zu prüfen ob du wegrationalisiert werden darfst oder nicht, zivilisiert erklärst dass du hilfe brauchst, oder ihn stattdessen restfett einen hurensohn nennst, verstanden wirst du in keinem der beiden szenarien. letzteres ist aber nicht nur persönlich lustiger, sondern erhöht auch noch die wahrscheinlichkeit dass du ihn auch nur einen bruchteil seiner lebenszeit so beschäftigst wie er dich beschäftigt hat.

     es gibt nämlich einen grad von verzweifeltsein an dem artikulationsvermögen nebensächlich wird.

     also ja, jawohl, anschreien!

     jetzt gerade, also buchstäblich jetzt gerade wo du, geneigter sesselfurzer, dies liest, bin ich auch wieder nichts als ein lustiger hampelmann dessen toben sich jenseits der index-skala gesunden menschenverstandes namens „anlass und angemessenheit“ abspielt, und selbst wenn die dinge nach meinem plan laufen muss ich mich damit zufriedengeben die produktive „disruption“ (wann war das noch einmal biennalen-trendwort?) deiner diskurshoheit zu sein, sollte ich es doch einmal geschafft haben dass du einmal, ganz kurz, verblüfft da stehst, dir das zappeln ansiehst, und zwar so genau und ausgeliefert ansiehst, dass das zappeln in dich zurückblickt, und dir denkst „oha. ach du scheiße. ach du meine scheiße, so schlimm ist es also“, damit du hinterher sogar umso besser deinen bildungsbürgertätigkeiten nachgehen kannst da du nun extra vorgeführt bekommen hast, woraus du in weniger ernst gemeint (denn nichts ist ernst gemeinter als der überlebenswille einer wahnsinnigen) aber dafür leichter konzeptualisierbar diskurs-kapital schlagen kannst. es ist wie lsd-microdosing, trippen auf kranke hirne, nur dass der realitätsverlust ein echter ist.

     und weißt du was? das soll mir recht sein! nur für eine sekunde hatte ich dich schließlich da wo ich verweilen muss wenn du weiter ziehst, und so nah werden wir uns nie wieder sein.

     die radikale gegenwart ist das nackte überleben, auf die richtige art „kultiviert“ ist nacktes überleben aber vielleicht genau der unvoreingenommene pragmatismus auf dem man sich wieder begegnen könnte. an dem nicht die intelligenz die mehrfachverarmten bittet ihr in ihren worten zu erklären was sie falsch gemacht hat sondern es selbst als fehler anerkennen muss dass man praktische fertigkeiten wie fensterputzen, radmechanik und ladendiebstahl nur lernen kann indem man sie nicht von vornherein andere machen lässt, und das meine ich nicht als racheplan sondern als hilfsangebot.

     ein artikel an dessen quelle ich mich nicht mehr erinnern kann sagte einmal „neoliberalismus ist die kollektive feststellung dass alles im arsch ist gepaart mit der ansicht dass man es selbst schon irgendwie schaffen wird“, und irgendwie haben wir uns darauf verständigt bei der prüfung dieser annahme jene wenigen zum massstab zu nehmen, für die dieses paradox nicht bloß delusorische gutenachgeschichte ist, sondern tatsächlich zutreffen könnte.

     mag konzeptuell sein, dass du besser aussahst als du märz 2020 nicht loszogst um nudeln und klopapier zu horten, pragmatisch stehst du seit der hartweizengriese (das ist kein witz look it up) nun beschissener da als jene, die auch ohne dass vorher irgendwelche selbstständigenfördertöpfe sie dafür im stich lassen mussten wussten, dass die schöne geschichte von der chancengleichheit in letzter konsequenz auch nichts anderes als den kampf ums überleben bedeutet. dass freiheit und armut unvereinbar sind macht den freien markt als ein härteres beispiel brutaler wortspielereien ja zu so einer dummdreisten lüge, annähernd so dummdreist wie die, dass worte real was ausrichten würden, und die motivationssprüchlein die dieser markt wie eine audiovisuelle glückskekssalve, um die keiner gebeten hat, um sich schießt sind von allen der idiotischste hohn.

     wer schert sich denn um jene die sich im kino retraumatisieren lassen um mitreden zu können weil sie – ebenfalls um mitreden zu können – bourdieu gelesen haben und daher wissen oder zumindest noch glauben, dass es notwendig ist sich die beteiligung an der kulturgesellschaft aus dem zeitfleisch zu ritzen wenn man’s zum klassenaufstieg bringen will. die lachen lernen über unlustigkeitsorgien wie das deutsche kettensägenmassaker, die bei filmen wie Parasite vorher ein paar popintellektuellenzeitschriften auswendig lernen um das ganze wie die anderen als kritik statt als drohung mitdiskutieren zu können, die lernen mussten sich im kritischen gespräch von der gezeigten gewalt zu distanzieren als hätten sie nicht gerade eigentlich ein übersteuertes fotoalbum betrachtet, oder zum x-ten mal so tun als könnte man kunst und künstler voneinender trennen um nicht ihre eigenen vergewaltigungs- und schlägerei erfahrungen auspacken zu müssen (wir wissen ja wie viel das im hiesigen betrieb bringt). die am nächsten tag bevor sie überhaupt wieder zu sich finden konnten gebeten werden im kundenservice einzuspringen.

     wohlstand lebt von ignoranz, und da wo die nicht mehr reicht wechseln wir das thema. soweit ich das beobachten konnte kann man das auch mit wachsendem wohlstand lernen, und in der hoffnung dass es mir wirtschaftlich jemals besser gehen wird macht mir diese beobachtung mich selbst betreffend sorgen, ich habe große angst vor der person die ich unter weniger prekären umständen werden könnte, und umgekehrt bist auch du von meinem wahnsinn nur genau so viel unglück entfernt wie der durchschnittsverdiener von der obdachlosigkeit. wenn ich vom pragmatismus des überlebens als hilfsangebot spreche, meine ich das also alles andere als ironisch. ja, sicher sollt ihr leiden, sonst könnten wir ja nicht ähnlich verzweifelt sein. aber nicht aus rache. rache wäre in dem fall (wie in den meisten) eine sehr dumme idee, sie würde bedeuten dass ich euch mit unserer verzweiflung allein lasse. aber was soll das aus meiner sicht schon bringen? wen sollen die scheiß worte denn treffen? euch selbst, na klar, ihr habt sie ja erfunden, aber was macht das schon, ihr nehmt die blessürchen mit zur kunstausstellung, ins atelier um sie zu pappmaché zu verarbeiten und zum laufen und zum yoga und wasweißich was menschen die mit freizeit gesegnet sind alles für emotionale ausgleichsmöglichkeiten haben, aber das sind nicht die wunden die ich möchte.

     ich werde euch nicht euch selbst überlassen; da der sinn der übung nicht der ist, dass es mir besser geht wenn es euch schlechter geht, sondern dass es entweder allen gleich beschissen gehen soll oder wenigstens alle wissen wie beschissen es sein könnte, bevor man überhaupt erst darüber nachdenken kann wie wir uns denn alle ökonomisch auf bürgi-niveau anheben.

     also eigentlich möchte ich wohl doch so etwas wie empathie. aber die wird oder kann es ohne ein verständnis der jeweiligen ausgangslage des anderen eben leider schlicht nicht geben, und in der welt sozialer höhendifferenzen trifft man sich wohl eben am besten auf null – und null ist das nackte überleben. die radikale gegenwart. die blanke verzweiflung.

     ich werde euer diskursäffchen bleiben bis es euch genauso ekelt wie mich. es geht hier nicht um literatur oder erkenntnis oder kunst, schon gar nicht um aktivismus, es geht darum euch den wahnsinn wie kuhscheiße auf die zehen zu kacken, eine sieben mal gekotzte zwangswiederholung die euch hemmungslos die verdatterten fressen sprenkelt nur damit ihr wisst, dass ich erst fertig bin wenn nicht nur das privateigentum sondern auch die segregation und zu guter letzt die erwartung, irgendetwas erklärt zu bekommen, abgeschafft ist.

     ich will mich nicht mehr verständlich machen. ich will verstanden werden.