Ein Komet
von Diana Barbosa Gil
Anfang der Pandemie schrieb ich einen kleinen Dialog, der sich in meiner Wohnung abspielen sollte. Viele Künstler:innen stellten sich damals die Frage, wofür man das alles eigentlich macht, wenn die Öffentlichkeit wegfällt. Plötzlich war man grundsätzlich mit der Frage konfrontiert: Will ich Kunst machen oder wählte sie mich? Die Frage nach einer Verortung und dem Sinn innerhalb der Kunst wurde dringlicher als sonst. Schließlich war Kunst nur ein Luxusgut und nicht überlebenswichtig. Was war das eigentlich für eine Generation oder Epoche, in der wir uns befanden? Würde sie jetzt auf der Stelle untergehen in Hyperkapitalismus und dessen Folgen, was hätten wir dagelassen außer Spuren des Marktes und paar guten Institutionen und Archive? Gewalt und Romantisierung der Isolation lagen nah beieinander, während ich im Wohlstand gekleidet auf dem Sofa grinste und endlich Ruhe fand um zu schreiben, um nachzudenken. Geld war schließlich genug da in Österreich. Ich hatte dieses Glück, aber ohne die Anderen da draußen – mit ihren Bakterien und ohne ihre Bestätigung – war ich im Kern meines Schaffens angelangt. Ich dachte wie ein Genius und lebte meine Genetik. Ich war mit Tellern in der Küche beschäftigt. Schließlich zwischen sanfter Depression und Diabolik schlug ein Komet1 ein:
Sorge
Bewohnerin
böse Zungen
In einer Wohnung in Wien, Sorge kommt durch die Tür und schließt hinter sich hab. Er setzt sich nieder und macht eine Notiz.
Die Notiz: SKANDAL ︎︎︎ Normalisierung = Popularitätskultur / LOGIK: Die Überwindung der eigenen Bourgeoisie Methoden der Kapitalakkumulation / Faschismus ︎︎︎ Anpassung ︎︎︎ Etablierung der totalitären Klasse ohne Bewusstsein für ihre Situatio
Sorge zur Bewohnerin: Die zeitgenössischen Motive sind unklar kommen aber gut an, weil die Diskurse, die heutzutage geführt werden, von Heuchelei, Narzissmus und Willkürlichkeit durchflutet sind. Wir wollen keine unangenehmen Situationen aushalten (außer im Feld des Voyeurismus oder des Skandals).
Wo bleibt da der Körper? Wenn man keine Beziehung zur Umwelt aufbauen kann, muss ich meine Neigungen zu Prinzipien erheben und das Fleisch als Bewusstsein erfassen. Also die Spaltung von Körper und Kleidung. Keine Selbstvergessenheit, Ohnmacht und Hingabe. Uns fehlt es an Hingabe, an Dauer und Verständnis...
Leben und Leid und die Befangenheit, in der wir stecken, sind eine Konsequenz unserer Sterblichkeit. Diese Ungewissheit ist kostbar, die vielen Handlungen und Entscheidungen, mit denen wir dann formen. Eine schöne Skulptur vor meinen Augen. Unser Leben, das eigentlich einer dauernden Bedrohung und Ungewissheit unterzogen ist… dem muss man doch mit einer anderen Art von Hingabe begegnen.
Bewohnerin: Worüber möchtest du eigentlich schreiben?
Sorge: Vielleicht müssen wir in den Wald. Unsere Sinne schärfen. Alle Avantgarden fangen im Abseits an. Wir brauchen Ruhe. Geduld und eine bessere Wahrnehmung.
Bewohnerin: Birne, Apfel, Kirsche.
Sorge zynisch: „Indem aber die Proletarier mit ihren Proletkult den Bourgeoiskult imitieren, sind es gerade sie es, die diese verdorbene Kultur der Bürger stützen, ohne sich dessen bewusst zu sein."[2] Ist das so, die neue Generation – Balenciaga und Co., die bis heute anhält? Künstler:innen, die an solche Modeerscheinungen glauben, und Kunst, die sich in Wechselwirkung dieser Logik vollzieht? Oder sind das die ästhetischen Nachwirkungen der Sowjetunion?[3] Eine Privatisierung, die sich ihre eigene Logik bahnt. Ihre Beine ganz um sich selbst verwickelt.[4] Die Vereinzelung als Logik.
Wer dem Proletariat seine Identität klaut, weiß genau, wie man Körper von Kleidung trennt.
Bewohnerin: Ich verurteile niemanden, wir haben ähnliche Werte (Herkunft, Sexualität, Religion) und sobald jemand etwas tut, was eben nicht unbedingt einen Marktwert hat, halte ich das erstmal für etwas, was wir fördern müssen, egal ob Modewelt oder Luxusmarke. Ich finde ja, wenn man Kritik ausübt, muss das differenziert zugehen. Außerdem bringt das ganze Othering nichts. Wir sind quasi im selben Kessel. Gefangen oder nicht. Wir können uns solidarisieren. Verbitterung bringt niemanden was! [5]
böse Zungen vom Gang aus bereitwillig zur Bewohnerin: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Kaffee trinken, die Claudia treffen, Therapiemaßnahme. Ewige Vacation?
Sorge: Multiple Körper, die Armut weitergeben, sind besorgniserregend.
Keine Macht der Avantgarde und dem Dilettantismus. Das schreibt man sich heutzutage als Selbstverständnis auf die Fahne. Ich will weinen. Ich bin die Generation, die das akademische überwunden hat. Jetzt wieder von vorn?
Nimm mich in den Arm 60er. 70er. 80er. 90er. Ein paar Namen und Tod.
Bewohnerin: Das, was du da beschreibst über die Aneignung und den Populismus, das ist so wichtig.
Ich bin besorgt, aber nicht aktiv.
Sorge: Man munkelt, dass sich das Kapitalismusherzchen so reguliert und filtert, um konkret alles zu zensieren, was progressiv sein könnte. Das europäische Ebenbild – ohne Aufgabe. Ohne Aktivität außer in der Unbeholfenheit des Eigenen. Eine Generation, die bei jedem Anlass Sportkleidung trägt, aber mit dem Geschmack von Verwahrlosung. Denken Sie an das ganze Geld, das sie verdienen müssten, um Drogen zu konsumieren und gleichzeitig Sportklamotten zu tragen oder etwa Vetements & Co. Naja, denken Sie mal daran, wie viel Privilegien ich haben muss, um obwohl ich mehr als genug Geld habe, ich mich absichtlich einem Prozess der Verwahrlosung unterziehe oder Proletkult betreibe mit Erfolg und Karriereaufstieg?
Die Arbeiterklasse kommt doch nicht auf die Idee, sich mit solchen ästhetischen Methoden zu identifizieren. DHL-Jäckchen auspacken[6] und dabei genießen, wie sehr wir tatsächlich den Komplexitäten des Markts unterliegen. Man zieht da eben nicht nach Berlin mit seinem Sport- oder DHL-Jäckchen und geht gentrifizieren. Eine Armutssehnsucht gut verkleidet nach dem Fall der Berliner Mauer!
Scheinbar hat diese Personifikation viel Zeit für Rausch und Entfremdung. Dieser Rausch ist kein progressiver. Es gibt nämlich eine andere Art von progressivem Rausch, den der Kapitalismus verstanden hat. Er hat ihn durch seine Filter des Kolonialismus und der Gier nämlich ziemlich gut versteckt. Was einmal die Waffe war gegen eine Realität, die keine Zukunft in sich trägt, wurde zu einem Weg Menschen in ihren Potenzialen entgegenzuwirken und sie zu betäuben. Deshalb gibt es keine Bewegungen, Avantgarden oder Positionen, die sich gegen einen bürgerlichen Begriff von Kunst wehren. Falls doch werden sie schnell belohnt durch Zugang zu einer noch feiner pulverisierten Klassenzugehörigkeit. Schließlich müssen auch wir überleben.
böse Zungen erfreut: Mit den Mitteln des Marktes spielen und selbst dick abzuräumen, im Namen der Kunst. Amen! Uns ist klar wir können auch nicht anders Erfolg haben?
Bewohnerin: Wagnis. Lieber, Antikunst. Unsinn. Liebe.
Sorge: Die neoliberale Gesellschaft will ja genauso ein Menschenbild stärken und das in den H&M und Co. bringen, wo dann schließlich alle einkaufen und der Konzern letztendlich einmündet und einen ultimativen Wert bildet, mit dem wir uns identifizieren, ohne ein Bewusstsein für diese Umstände zu haben. Wir (Schaffende) müssen uns bewusstwerden, dass wir einen erheblichen Anteil daran haben Repräsentationen und Werte zu konstruieren.
Die Individuen unserer Zeit konsumieren, beschäftigen sich lediglich mit sich und der eigenen elitären Gruppe und begreift sich als warenwirksames Gut.
Bewohnerin: Du musst versuchen zu Vertrauen.
Sorge nimmt nur noch sich wahr: Dazu kommt das Abschneiden jeglicher Möglichkeit sich daraus zu lösen, ohne sich von außen ständig formen zu lassen. Letztendlich sind Gefühle als Übertreibung und Pathos in gewissen Mustern zu leben. Wir erzeugen Bildkompositionen, ganz individuelle Formate. Wir verbinden uns nicht. Wir zeigen die absolute Transparenz und lösen uns in die Leere auf. Unendlichkeit ist da. Aber da gibt es keinen Halt. Das heißt ich kann da gar keine Scham fühlen, ohne dass ich mich nur selbst hasse für meine Willkürlichkeit und Pseudoindividualität.
Sorge geht ins Bad zur Bewohnerin, die versucht zu duschen. Er schneidet ein Loch in den Duschvorhang und spricht durch das Loch: Grundlegend erscheint mir ebenfalls, dass menschliche Beziehungen über die Ästhetik laufen und ihre Zugehörigkeit dort verortet wird. Gleiche Haltungen und Meinungen werden hier selbstverständlich im Raum manifestiert. Diese müssen nicht besprochen werden, es gibt kein Widerspruch, weil das würde irgendwie unangenehm sein. Dass wir dauernd ausgestellt werden und uns selbst nur so begreifen und das so hinzustellen, als wäre es etwas total Selbstverständliches, ist widerlich! Das dann als Provokation gegen die Kritik von Entfremdung hinzustellen, ist schlicht und einfach eine künstlerische Methode, die weder Zukunft noch Bewegung erlaubt, weil ich dieser Realität zustimme.[7] Das sind die Taktiken des Populismus und eben auch des Faschismus.
Bewohnerin öffnet hastig den Duschvorhang: Nein, ich glaube, das ist einfach nicht mein Aufgabenfeld darüber irgendwie zu sprechen oder dauernd zu hören, was in der zeitgenössischen Kunst los ist. Das Nachmachen eines ästhetischen Programms überlasse ich den Anderen! Du hörst dich nach Verschwörung an… Warum muss man als bildende Künstler:in überhaupt visionär sein? Ist doch sinnlos!
Sorge bastelt ein Plakat:
Mein Geschlecht – Mein Freiheitsphänomen !
Identitätspolitik wird zu Dialektik der Elite !
Populärkultur ist die neue Kunst !
Bewohnerin, nachdem sie ihre innere Feministin verabschiedet hat: Ich will mir über diese Dinge keine Gedanken mehr machen. Wer ausstellt, gut ankommt, Anerkennung bekommt, wer feiert, wer wen liebt und gern hat und welches Geschlecht nun seine Gültigkeit hat. Was es für Diskurse und Installation Views es gibt, die ich noch nicht wahrgenommen habe. Der ganze Eurozentrismus. Ich war oft genug überfordert von den vielen Geräuschen im Supermarkt.
aufgeregt wie eine Prinzessin: Mich interessiert nur mein eigener Brei. Ich will diese soziale Angst wahrnehmen. Mich isolieren und mich ohne Auftraggeber:innen in meiner Arbeit auflösen und wie ein dicker Biber einen Damm bauen, an dem ich im Sommer baden gehe!
Bewohnerin malt einen Biber mit besonderer Betonung auf den Schwanz.
Sorge als Sprechstimme: Bewohnerin könnte sich die Haare ausreißen oder sich zumindest im Gesicht so lange kratzen bis sie sich selbst verletzt. Sie ist wütend in einem Hippiekleid aus dem Haus gelaufen. Man hat ihre Brüste noch durchscheinen sehen.
Sie war so müde von der Kunst, die man sah. Alles, was sie sah, war scheiße und das war ein Gedanke, der sie nicht losließ. Warum konnte man diese Scheiße so genießen? Wieso hatte sie nach so vielen Jahren Studium niemanden getroffen, der ihr Trotz schenkt? Das System hatte versagt.
Nach 8 Jahre hatte sie nur Scheiße gesehen, die gefördert wurde und die in naher Zukunft in den besten Museen des Landes zu sehen sein würde. Sie allerdings hatte keine Chance, weil sie nach einer Provokation verlangte, der sie selbst nicht gerecht wurde. Waren all die Jahre Verschwendung und sie hätte stattdessen in die Pensionskasse einzahlen sollen? Ihre Überheblichkeit war enorm. Ihre Aggression so groß, dass sie sich wenigstens ein kleines Brusthaar herausreißen könnte.
Bewohnerin geht einkaufen: Ich weiß nicht mehr genau. Es gibt Werkzeug, mit dem ich glaube von Zuhause aus das Beste zu bauen, was es in dieser Stadt zu sehen gibt. Aber keiner wird mich anerkennen, weil ich selbst nicht an mich glaube. Mein Selbstwertgefühl reicht von ganz unten bis nach ganz oben.
Mit dieser Konjunktur kann keiner da draußen umgehen. Die Geschäftsleute und Politiker:innen können damit erst recht nichts anfangen. Kein wirklicher Profit ist denkbar. Wieso sich Gedanken über Kunst und Kulturphänomene oder Markt machen, wo es doch nur um die Arbeit selbst geht, der man sich verspricht.
Sorge: Sie war allein und so starb sie in ihrer Einsamkeit und einer Begierde, die niemals befriedigt wurde. Aber es gab andere Schicksale, die wichtiger waren oder zumindest tragischeren Ursprungs. Man kann sich täuschen, das Leben ist Bewegung. Die Haltung ist wichtig, bringt dir aber nur was, wenn du Charakter hast.
Sorge nimmt das Bild des Biebers und faltet es sorgfältig in seine Tasche.
Bewohnerin baut eine kleine Radiostation in der Wohnung auf.
Sorge: Also die Dystopie ist sehr zeitgenössisch, weil darin kann ich eintauchen und baden.
Sorge ist traurig und liegt mit einer Decke am Sofa.
Bewohnerin: Deine Sorgen sind Luxussorgen. Mach doch mal Kunst für dich und komm zur Ruhe. Genieß es aber lösch dich von Instagram und Facebook. Das sind alles nur Dämonen.Die letzten Zeichnungen sind doch ganz hübsch.
Bewohnerin in Sprechstimme aus der Radiostation: Es war Chaos angebracht und eines Tages kam es dazu: Die Erde war bereits in einen dystopischen Zustand verfallen. In einem Glaspalast schlug es brutal ein. Das Glas wurde so fein um die Welt verteilt, dass es sogar die kleinsten Insekten von ihren Flügeln kaum entfernen konnten. Es war dieser Palast, wo die Weltausstellung erstmals stattfand, der mit den Stahlträgern in England. Die Globalisierung war von einem Komet zerstört worden. Alle Flüchtlinge konnten in die Glaswelt, aber sie hatten verstanden, dass es eine unfassbar brutale Illusion war, die nicht zukunftsfähig ist. Alle bekamen ihre eigenen Namen zurück. China und USA waren auch hart betroffen von der Katastrophe. Ein paar Elitemenschen konnten sich noch verstecken.
Sie waren schließlich aus Panzerglas.
Für die Bewohnerin gab es keine Hoffnung zu existieren. Mit der echten Welt hatte sie keine Erfahrung. Ihre Arbeiten waren Scherben. Die Bücher von Schriftsteller:innen aus der ehemaligen Sowjetunion und einige von den Existenzialist:innen überlebten lediglich als Referenz. Sorge kam in den DDR-Himmel. Der Kommunismus schien der einzige Ausweg für ihn. Aber auch das war nur eine Realität von Vielen. Die großen Konflikte seit Menschheitsgeschichte wurden plötzlich klein. Die Probleme der Zeit: Kirsche, Birne, Pfirsich usw. waren überhaupt nicht greifbar –außer eben für den aufprallenden überdimensionalen Kometen. Toleranz war naturgegeben, weil es plötzlich überlebensnotwendig wurde. Respekt war übrig für alle Lebewesen trotz der Brutalität, die der Natur innewohnt, da. Der Komet war eine wunderbare Notlage, die uns erlöste von uns selbst. Alles zerbrach und begann zu blühen dort, wo es seine Spuren hinterließ.
Bewohnerin starb am Feinstaub und war ok.
[1] Die Menschen, die sich nicht mit dem All auskennen und seinen Fachbegriffen, haben Kometen abgespeichert als etwas, was auf die Erde einschlägt, obwohl diese Tatsache nicht mit der Realität übereinstimmt.
[2] Aus einem Manifest von 1923.
[3] Hito Steyerl, Giorgi Gago Gagoshidze und Miloš Trakilović bei der Führung Mission Accomplished: BELANCIEGE in der Kunsthalle Wien, 2020.
[4] Balenciaga Campaign, Spring 2019 .
[5] Gespräch mit einem Wiener Künstler in der Bar im Intercontinental Hotel Wien, 2019.
[6] Vgl. Vetements Ready-to-Wear Spring/Summer 2016.
[7] Vgl. Anne Imhof Faust, 2017, Installation und Performance, Biennale di Venezia, Deutscher Pavillon.