Getrieben von Gesellschaftsutopie –
Anna Barbieri im Gespräch mit Claudia Lomoschitz
von Anna Barbieri

Claudia Lomoschitz, Partus Gyno Bitch Tits, 2021, Ausstellungsansicht, Kunstraum Niederösterreich 2021. Foto: Daniel Rajcsanyi.

Partus Gyno Bitch Tits ist der Ausgangspunkt dieses Interviews, das zu einem Gespräch wurde. Partus Gyno Bitch Tits ist auch der Titel eines Werkzyklus von Claudia Lomoschitz, der aus einer Performance, einer mehrkanaligen Video- und Rauminstallation, einer Soundarbeit und einem Essayfilm besteht. Im Frühjahr 2021 wurde die Arbeit im Kunstraum Niederösterreich gezeigt. Gemeinsam mit Anna Barbieri ist Claudia Lomoschitz Mitglied der Künstler:innen-Band Die Fitten Titten. Dort jaulen die beiden laut Hits wie „Mamamlada“ auf Konzert- und Orchesterbühnen. Manchmal denken sie über gemeinsame Filmprojekte nach – um endlich bei der Diagonale zeigen zu können (eher ein Wunsch von Anna). Claudia möchte lieber das neue Musikvideo, an dem Anna schon über sechs Monate sitzt, fertiggestellt sehen. Die beiden schonen sich theoretisch und praktisch eher nicht.




      Ich saß – wahrscheinlich in der Bibliothek Braidense in Mailand, als ich Maria lactans in mein Notizbuch schrieb. Ich bin mir nicht sicher, wo ich sie gesehen habe: in einer Kirche, in einem Museum. Mein Blick streifte durch die Pinacoteca di Brera, aber ich kann mich nicht erinnern, dort eine Darstellung der stillenden Gottesmutter gesehen zu haben. Das Online-Verzeichnis des Museums führt sie: datiert 1482-5, Raum V, Inventarnummer 347, 84 × 60 cm, Luca Signorelli, Madonna del Latte. Die Finger einer Frau und eines Kindes im Schoss treffen sich an der nackten Brust. Maria und Jesus. Beobachtet von Engeln schaut die Frau nach unten. Die Augen des Kindes treffen die Betrachter:innen.
      Die Einladung zum Kunstraum Niederösterreich kam überraschend. Wir sind gut befreundet. Manchmal gibt es jedoch Phasen, in denen Claudia und ich uns weniger hören. Der Lockdown ist gerade vorbei. Es regnet. Ich fahre mit dem Fahrrad in den Hof, drehe eine Runde und sehe eine Traube an Leuten vor dem Eingang. Umarmungen. Ich komme an. Ich kenne Partus Gyno Bitch Tits, die zentrale und titelgebende Arbeit der Ausstellung, nicht. Wir haben nicht darüber gesprochen. Aber wir sprechen jetzt.

      „Die Auseinandersetzung mit dem Thema der Laktation begann zu einer Zeit, als viele meiner Freund:innen Kinder bekamen und ich selbst mich fragte, ob ich auch Milch geben könnte.“ sagt Claudia, als ich sie nach dem Anfang frage. „Dieser Gedanke entstand aus der Überlegung heraus Freund:innen zu unterstützen. Im Zuge dieser Recherche stolperte ich über den Fakt, dass auch männliche Körper Milch geben können. Plötzlich ist die Fragestellung über heteronormative Zuschreibungen hinausgewachsen. Mit der Arbeit möchte ich reale Möglichkeiten aufzeigen. Sie speist sich stark aus der Vorstellung, dass alle Personen Care-Arbeit leisten können.”

      Ein zweiter Beginn, den ich aber nur aus Bildern von Claudias Website kenne, oder vielleicht ein ganz anderer, ist Claudias Abschlussstück Induzierte Laktation, welches am Kampnagel Theater in Hamburg 2017 zu sehen war. Den Ausgangspunkt bildete ein Text. „Dreiseitig”, betont Claudia. „Ich legte den Fokus bei dem Stück nicht ausschließlich auf Laktation, da ich damals noch nicht wusste, wie ich mit dieser Thematik arbeiten kann ohne Körper auszustellen. Ich wollte nicht, dass eine Person auf der Bühne laktiert. Auch in der Erarbeitung des Performance-Teils von Partus Gyno Bitch Tits habe ich bewusst auf verstörend-aktionistische Elemente wie wunde, blutende Brustwarzen verzichtet. Es geht mir nicht um die Reproduktion von Gewalt, sondern um ein Annäherung an Utopie und Affekt.“

      Emotion. Emotionale Arbeit. Emotion als Arbeit. Daran denke ich, während mich der warme Sound in eine Höhle von Podesten, Videos und mit weißer Flüssigkeit gefüllte Becken spült. Claudia taucht den Kunstraum Niederösterreich in ein sanftes Purpur. Die akustische Ebene gibt dem Raum Rhythmus. Sie animiert zur Bewegung durch die Ausstellung und nährt ein suchendes Gefühl. Partus – wie Claudia den Arbeitstitel oft im Gespräch abkürzt – bewegt. Entfernt klirrt Metall, oder Glas, oder Glasflaschen, die umfallen. Vielleicht werden sie gemeinsam mithilfe eines Drahtgestells aufgehoben. Auf und bei den Podesten sitzen und liegen fünf Performer:innen. Sie kommunizieren wortlos mit Gesten und Berührungen. Sie beobachten einander. Die Videoprojektionen an den Wänden verdoppeln die Szenerie im Raum. Die Performer:innen sind physisch anwesend und gleichzeitig großformatig repliziert. Das stimmungsgebende Licht wird nur durch die hellen Flächen mehrerer Screens gebrochen. Darauf loopt ein untertiteltes Video, das als Kern der Arbeit fungiert.

      In einem Nebenzimmer kleben kleine und größere Bilder an den Wänden. Kunsthistorische Darstellungen – hier eine Maria lactans. Es ist nicht dieselbe wie in der Pinacoteca di Brera. Daneben milchgebende Bodybuilder und ein Foto der gewaltvoll entfernten Brüste der Heiligen Agatha als sizilianische Süßspeise. „Wie kann ich historischen Verknüpfungen zwischen körperlich-physischen und politisch-gesellschaftlichen Aspekten von Laktation sowie die damit einhergehende Brutalität dem weiblichen Körper gegenüber ansprechen ohne sie performativ zu reproduzieren?“, fragt Claudia. „Mit dieser Zusammmenstellung teilte ich im Kunstraum Niederösterreich meine über mehrere Jahre geführte Bildrecherche mit dem Publikum.“ Ich entdecke diesen Appendix erst auf meiner zweiten oder dritten Runde durch den Kunstraum. Kopfhörer mit Audiodeskriptionen und Hintergrunderzählungen hängen von der Decke. Die Wände weiß, das farbige Licht ausgespart. Ein paar Wochen oder Monate später werde ich mit Claudia in der Ausstellung Radical Care im Projektraum Motherboard auf einer organischen Polsterlandschaft sitzen. Dort wird Partus zu einer Videoarbeit kondensiert in der Gruppenausstellung vertreten sein. Claudia blättert durch ein selbstgebundenes Buch, in dem sie ihre Bildrecherche samt kunsthistorischen, biologischen und mythologischen Erzählungen abgedruckt hat. Gemeinsam betrachten wir die teilweise nur Thumbnail-großen Fotos und Gemälde. „Diese Bilder wirken kulturgeschichtlich bis in unseren Alltag fort und fordern in ihrer Zusammenführung die kritische Reflexion vorherrschender Bio- und Körperpolitiken. Es geht um mythologische Erzählungen, Cross-Species-Nursing, Adoptivelternschaft, aber auch um die Gewalt, die aus normierten, hegemonialen Lesearten von Gender und Geschlecht entstand und immer noch besteht. Das entstandene Buch ist eine Erweiterung der performativen Videoinstallation und zugleich ihr Kontext.“

     Claudias Recherchen sind umfangreich. Bildbände, Internet, Pornoseiten, Adoptivelternblogs, Kunsthistorie, Milk-Sharing Networks. „So viel wie möglich.“ Sie ist überzeugt, dass Populärmedien und Blogs einen anwendungsspezifischen Überblick über das Spektrum einer bestimmten Materie bieten. Philosophische Referenzen und naturwissenschaftliche Forschungen zu Laktation verbinden sich in ihrer Arbeit durch Nutzer:innenschilderungen und Erfahrungsberichte mit gelebten Praktiken sowie persönlichen Begegnungen. „Es gibt ganz viele kleine Hacks, die man in Foren erfährt. Darauf aufbauend bildet sich ein theoretischer Rahmen. Ich versuche praktische Überlegungen mit anderen Konzepten von Fürsorge zu verflechten. Auch zwischen Generationen. Wie lebt man andere Formen von Empathie und Emotion abseits allgegenwärtiger, heteronormativer Setzungen? Man kann das Theorie nennen, aber ich nenne es ‘getrieben von Gesellschaftsutopie.’“

      Beim Betrachten und auch beim Nachbetrachten der Arbeit mache ich mir Gedanken zu meiner eigenen Fruchtbarkeit. Diese Gedanken und das implizierte Unwissen darüber begleiten mich über den Eröffnungsabend hinaus. Die Frage, welche Formen von Fürsorge ich selbst wie praktiziere und repliziere, schwirrt durch meinen Kopf. Die Gesellschaft stellt die Fähigkeit Milch geben zu können unweigerlich in einen kausalen Zusammenhang zu Mutterschaft und zementiert darüber misogyne Dogmen und Verhaltensformen. Das zur Milchbildung notwendige Hormon Prolaktin kann jedoch durch mechanische Stimulation der Brust unabhängig von Geschlecht, Schwangerschaft und Geburt kontinuierlich gebildet werden. „Diese durch Stimulation hervorgerufene Lakation bezeichnet man als induzierte Laktation. Gedanklich führt uns dieser Vorgang weg von der Singulärposition eines Individuums. Plötzlich geht es hier um gesellschaftliche Emotionen zu Care-Arbeit, die viel zu wenig verhandelt werden, aber verhandelt werden müssen.“ Ich nicke zustimmend. Die aufgeladene, einseitige Bildwelt, die sich aus der christlichen Ikonographie entspannt, empfinde ich als unheimlich, geradezu anmaßend und moralisch. Laktation als exklusiv-weibliches, biologisch-mütterliches Konzept entpuppt sich mehr und mehr als trügerisches, kontraproduktives Bild. Eine radikale Neubesetzung dieses gesellschaftlichen Stereotyps ist unausweichlich um empathische, inklusive Körper/-Politiken zu denken und eben auch zu leben. Umfassende, einfühlsame Plurale, die allen Formen von Care-Arbeit inhärent sind und die diese Arbeit als kollektive Aufgabe und Appell erfassen, durchdringen Claudias und meine Denkprozesse.

      Wir sprechen über den Stellenwert von Flüssigkeiten. Sperma, Blut, Milch. Claudia spricht über Reproduktionsarbeit, über Arbeitsleistungen, die nicht anerkannt werden, und thematisiert den daraus resultierenden Gender-Gap sowie soziale Stigmatisierungen. Sie erzählt von der ehemaligen Semmelweisklink und der dort erst kürzlich geschlossenen Frauenmilchsammelstelle. In einem benachbarten Raum war Partus als Beitrag der WAF Galerie während der Parallel Vienna im September 2021 zu sehen. Diese räumliche Nähe war nicht geplant. Zufall spielt auch in der Entwicklung von Claudias Videoarbeiten eine nicht unbedeutende Rolle. Es gibt kein festes Skript. Viele Bilder und Szenen entstehen während den Aufnahmen und Proben gemeinsam mit dem Performer:innen. „Die Umsetzung fließt.“ Genauso entfaltet sich auch die räumliche Repräsentation der Arbeit als spezifische Antwort auf die Orte und Gegebenheiten, in denen sie gezeigt wird. „Die Arbeit reagiert immer auf unterschiedliche Räume. Einzelne Elemente aus dem Set-Up des Kunstraum Niederösterreichs wurden beispielsweise für die Installation bei der Parallel Vienna angepasst und zusammengeführt.“ erklärt Claudia. „Der Sound, der im Kunstraum Niederösterreich losgelöst von den Videos den ganzen Raum einnahm, fungiert jetzt als Sound zu einer Videoarbeit. Er steht in Relation zu dessen Schnittfolge, obwohl er nie als Sound zu diesen Bildern gedacht war. Diese immer neu stattfindende Relation zu Orten ist für mich auch beim Filmen maßgebend. Im Kunstraum Niederösterreich gab es eine Vielzahl an Videos, die im Ausstellungsraum gedreht wurden. Sie sind Teil der Arbeit und auch Teil ihrer Dokumentation. Die Performer:innen agierten dabei neben Videos, die sie in ähnlichen Haltungen, Posen und Abläufen zeigten.“ Für mich sind diese flüchtigen Doppelungen Momente des Austauschs: Zwischen den Räumen und der Arbeit, den Handlungen und ihrer Repräsentation, den Akteur:innen und den Konzipierenden, und – wenn ich über Claudias Worte zu Utopie nachdenke – auch zwischen Realität und Möglichkeit. „Transfer – vielleicht ist das ein gutes Wort.“, schließt Claudia an. „Viele Szenen wurden auch in privaten Räumen gefilmt. Sehr viel Material entstand in den Wohnungen der Protagonist:innen. Die Vertrautheit dieser Räume generiert Intimität, die den Alltag miteinbezieht und damit Identifikationsflächen für die Betrachter:innen schafft – einfache, vertraute Orte, in denen man sich wiederfindet.“

      „Auf der Parallel in der ehemaligen Semmelweisklink auszustellen war für mich unfassbar schön. Auch weil sich hier sehr viele Begegnungen und Gespräche zwischen den Besucher:innen und mir als Künstlerin ergaben. Natürlich ist dies auch dem Bezug meiner Arbeit zur Semmelweisklinik als aufgelassene Klinik für Frauenheilkunde geschuldet. Aber  – und das freute mich besonders –  auch zwischen den Besucher:innen fand viel Austausch statt, den ich neugierig verfolgte. Partus ist für mich ein Projekt, das mit Menschen entsteht und in dieser Kollektivität mäandert.“ Vielleicht kann man diesen Zugang, der eine Vielzahl von Gedanken in Formen und Bilder gießt und sie trotzdem weiter wandeln lässt, auch als viskoelastisches Sammeln beschreiben. Ein bulky Wort, das die Möglichkeit eines temporär festen und temporär flüssigen Zustands beschreibt. Ich mag diese Arbeitsweise. Bilder, die keinem fixen Aufnahmeplan folgen und ohne Montagereihenfolge entstehen, haben eine Qualität von Nicht-Linearität und Komplexität, die sich auch aus den kleinsten Hinweisen formt. Irgendwann verschwimmen die Grenzen. In unterschiedlichen Momenten bündeln sie sich wie die Elemente von Partus Gyno Bitch Tits, die manchmal als Single-Screen Video verdichtet oder als immersive Video- und Performanceinstallation die vorgefundenen Kubaturen expandieren. Die Plurale bilden Allianzen. Sie sind zäh, elastisch und generieren daraus ihre Resilienz.

      Im Kunstraum Niederösterreich wechseln die Performer:innen ihre Positionen. Sanft streicht eine ältere Frau die Haare einer anderen Person. Fast kann ich die Berührung fühlen. Alle sind ein bisschen aufgeregt. „Am Ende“, meint Claudia, „– und das ist auch mein Wunsch – geht es um das Leben der Betrachter:innen selbst.“ Dazu passen vielleicht die kryptischen Sätze, die ich hastig während dem Umherwandern im performativen Videosetting notiere: „Gerade läuft ein Photoshoot. Die Bilder in den Projektionen reproduzieren den Raum und das Foto reproduziert das Set-up. Handlungen induzieren die Doppelungen, das Erstellen einer neuen Abbildung, die zu Körper oder Formen werden. Und sich wieder verändert.“ Meine Bewegung ändert den Blick und lässt neue entstehen. Sie sind zäh, elastisch und generieren daraus ihre Resilienz.