Amigaconomy

von Jackie Grassmann

Performing Arts Forum, St Erme France, 2022. Copyright: Jackie Grassmann.

Dieser Text hat seinen Anlass in einer Freundschaft gefunden, die auf Abwege geraten ist, und ist Kondensat unzähliger Gespräche mit Künstler:innen–Kolleg:innen–Freund:innen. Die das Schreiben treibende Kraft war erst Wut und dann Sorge. Sorge darum, dass uns das Ordnungssystem, wie es ist, krank macht und auseinandertreibt. Wut, weil sie die letzte Station vor der Verzweiflung ist.




   FEELINGS ARE SHIT, sagt Chris Kraus. Ich habe viele davon. Wie auch meine Freund:innen. Die meisten sind Scheißgefühle. Ah, that’s why feelings are shit. Quelle allen Lebens, tödlich, ekstatisch, dirigieren sie das Fleisch.

       Sehr viele unserer Kolleg:innen sind Freund:innen. Unsere Freund:innen sind unsere Kolleg:innen. Nein, mehr ist es so, dass die Kolleg:in als Vokabel in der Kunst erstaunlich abwesend ist. Sie taucht in der Freund:in wieder auf, wo sie sich fest eingenistet hat. Obwohl das jeder weiß, spricht man nicht gerne über die Wirtschaft der Affinitäten, diese Vetternwirtschaft im Kleinen. Amigaconomy. Es ist verständlich, warum. Freund:innenschaften stehen auf dem Spiel. Multiple Verbindungen sind in der Kunst überlebenswichtig – beruflich wie privat. Die meisten von uns können sich die Kernfamilie gar nicht leisten und das ist nicht als Metapher gemeint: Freund:innen sorgen dafür, dass immer wieder Gehaltschecks in unsere Richtung wehen und sie sind es, die die klaffende Lücke stopfen, die sich durch unsere promiskuitiven Begehren unter vier Augen auftut.

       Was zum Teufel … Tollpatschig hat der Text versucht sich besiedeln zu lassen, ein Gegenüber zu finden, und damit eine Form. Wen klage ich hier an? Bei wem beschwere ich mich? Mir selbst? Bestimmt. Der Welt? Ein Rauschen. Bei Anderen? Auch. Impliziert ist der Versuch eines Wirs, das Ringen mit dem Beziehungsgewebe, das uns umspannt. Ein Wir, weil es um eine Verantwortung geht, die nur im Verhältnis von Ich und Anderen ein Sein haben kann, die nur im Teilen überhaupt besteht. Wir die „Szene“, wir die Peers sind, wir, die irgendwie „im selben Boot sitzen“. Auch wenn das nie stimmt, weil unsere Boote – von der Nussschale bis zur Jacht – immer unterschiedlich sind, und doch segeln wir in der Kunstwelt mit ungleich verteilten Pferdestärken dem ziemlich gleichen Horizont entgegen. Das Wir, das kaum über die Lippen rutschen will und trotzdem schon im Raum steht, ist ein fragiles, das sich selbst ebenso wenig leugnen wie affirmieren kann. Ein stets zitterndes WIR, gesponnen aus realen Menschen, konkreten Beziehungen. Aus DU und ICH. Nichts Abstraktes, kein anderswo oder jenseits zum Hier und Jetzt. Ein Wir, dass auch aus oder besser durch meine Finger in die Tasten fließt – unbestimmbar, aber spürbar, unfassbar und doch real. Selbstanklage, Vorschlag, Vorwurf, Frage, ist der Text im besten Falle Hand, ausgestreckt in der Hoffnung Keime auszutauschen.

       Es macht Spaß, mit Freund:innen zu arbeiten, Leuten, die uns nahe sind und die wir mögen. Oft ist es dieser Kleb, der prekären Kunstprojekte überhaupt zusammenhält. Es kann regelrecht high machen, das dynamische Ineinanderfließen von Vertrautheit und Produktivität, Resonanz und gegenseitige Selbstversicherung, Ernst und Lachen unter Freund:innen. Die Ernüchterung muss folgen in einem System, in dem Kapital durch Distinktion gewonnen wird, und jede Freund:in, mit der wir den Kunstberuf teilen, so auch zur Rival:in wird. Die Intimität von Freund:innenschaften, die Offenheit und Generosität, die mit ihnen kommt, steht dem Imperativ einer Kunstwelt diametral entgegen, die individuelles Branding verlangt, den Narzissmus einfordert, wie kaum eine andere. Wie lassen sich in diesem Spannungsfeld friendwork-Beziehungen navigieren, an denen so viel hängt, die so vieles gleichzeitig erfüllen und deren Rollen wir letztendlich nie separieren können – egal wie viel Mühe wir uns geben eine formale Trennung zu gestalten? Es scheint schon lange still akzeptiert, dass wir uns darin schulen müssen opportun zu sein, hinter jeder Situation mit einem feinen Sinn für Karriere eine Gelegenheit erst zu erschnüffeln und im richtigen Moment geschickt abzuschöpfen. Dies erfordert jahrelanges Training. Meist ist eine solche soziale Superkraft ein sehr viel größerer Erfolgs- und Karrierefaktor als künstlerische Inhalte. Freund:innen = Kolleg:innen = Chance.

       Der Vektor geht dabei nicht nur in eine Richtung, bei der die weichen Intimitäten im Rausch der Nacht erzeugt, am nächsten Tag zu verbindlichen Kapital ausgehärtet sind. Der Zusammenhang scheint komplexer, die Gallertmasse menschlicher Beziehungen zeigt schon in ihrer Entstehung eine leichte, multidirektionale Färbung. Dunkelfeuchte Zuneigung wird von den hellgelben Schlieren der Taktik durchzogen. Wir sind gezwungen in jedem Moment an unserer Performance zu feilen, an ihrer Vermehrung zu arbeiten, denn wenn wir pausieren, haben andere die Tentakeln ihrer medial multiplizierten Ichs bereits auf alle Jahrmärkte gereckt. Der Versuch sich zu entziehen wird von Instagram Stories vereitelt, der Spoiler-Alert folgt uns bis ins Bett. Die Konkurrenz wird unser Kissen, das nicht unter, sondern auf unseren Gesichtern liegt und uns die Atemwecke blockiert.

       Ich sage nicht, dass es kein ehrliches Interesse, keine Sorge und Zuwendung unter Künstler:innen gibt. Ohne sie wäre ich gar nicht erst in der Lage, diesen – irgendeinen – Text zu schreiben, möchte ich mir nicht vorstellen, was und wer aus mir geworden wäre. Und trotzdem begegnet er mir öfter, als das ich seine Abwesenheit verzeichnen kann, der Bass der Konkurrenz. Ich spüre sein Pochen in meiner Halsschlagader und höre ihn in den Gesprächen, die wir als Kolleg:innenfreund:innen führen. Dum, dum, dadum.


       Wir benutzen andere als Plattform, um uns aufzuwerten. Der Vergleich ist süß, wenn mein Kuchenstück viel größer ist, und noch süßer, wenn jemand mit dem kleineren Kuchenstück mich auch noch für mein riesiges bewundert. Wir erzählen Freund:innen, was wir alles Tolles machen, wo wir überall eingeladen wurden, wie beschäftigt wir sind. Die sich darbietenden Chancen unsere Arbeiten zu zeigen und auszustellen, oder einfach Neuigkeiten mit unseren Freud:innen zu teilen, ist nicht das Problem. Es wird zum Problem, wenn geteilt wird, um diejenigen Löcher zu stopfen, die unsere eigenen Verunsicherungen hinterlassen. Dann geht es nicht mehr um das Mit-Teilen, sondern um die eigene Versicherung auf Kosten anderer. In niemals enden wollenden Monologen wird ein um die andere Ich-Geschichte zum Besten gegeben, ohne über Inhalte zu sprechen, oder darüber, wie man selbst zu dem steht, was man da erzählt, ohne sich auch nur ein Stück weit preiszugeben. Die andere Person, ausradiert aus der Gleichung der Begegnung – „äh, achso, ja, aber wie geht’s dir eigentlich?“. Ad infinitum zu wiederholen, wie überzeugt wir sind, dass unsere Arbeit ganz sicher langweilig und grottig sei, nur um von den Anderen fließbandartige Bestätigungen des Gegenteils abzugreifen, ohne Interesse an einer ehrlichen Einschätzung, oder Verletzlichkeiten anzuvertrauen, ist eine andere Version des selbstvergessenen Gelabers. Wir fangen an unsere Beziehungen als Material für autofiktionale Geschichten und Kunstwerke zu benutzen, bis jede Unterscheidung zwischen Selbstzweck und Verwertung weich wird, bis das Werk wichtiger wird als der Mensch, und wir die Grenzen anderer missachten. Wenn wir miteinander kooperieren, achten wir darauf, dass unser Name gut sichtbar ist, dass das Wording verrät, wer am Drücker sitzt, wessen Idee es war, wer der eigentliche Motor des Projektes ist, anstelle andere mitzuziehen, wo es nur geht, ihnen so viel verdienten oder unverdienten Credit wie möglich zuzuschaufeln: Jeden institutionellen Spalt, der sich uns öffnet – sei er noch so klein – zu nutzen, um wie die Parasiten mit uns auch unsere Freund:innen mit einzuschleusen. Unterschiedliche Bekanntenkreise stellen wir aneinander lieber nicht vor, weil sonst unsere Flunkereien auffliegen oder eine andere Kolleg:infreund:in die Chance bekommt, die wir ergattern wollten. Wir horten unser Wissen und pressen unsere Körper panisch an die Tür zur Kammer des gesammelten Kunstwelt-Wissens, um es vor vermeidlichen Dieb:innen zu schützen. Am Ende bewirbt sich X auch bei dem Wettbewerb, wenn ich ihr sage, dass er existiert. Bin ich nicht bescheuert, wenn ich dadurch meine Chancen vermindere? Genauso dumm wäre es, die Konkurrenz darin zu unterstützen, besser zu werden. Deshalb sage ich Y auch lieber nicht, was ich von seiner Arbeit halte. Sorry, sagen wir, Interessenskonflikt. Unsere Ideen teilen wir auch nicht mehr, weil Z hat sie uns schon mal gestohlen und stellt jetzt aus, was wir erfunden haben. Wenn die große Chance kommt und mit ihr gewaltiger Druck, vergessen wir alles, was wir über Bezogenheit wissen, paddeln wir wie wild ohne Rücksicht auf Verluste zurückgezogen in unsere jeweiligen Boote und Beziehungen gehen zu Bruch in dem Moment, in dem wir sie am meisten bräuchten.
       Wir akquirieren so viele Freund:innen bis wir den Überblick verlieren und der Kreis so groß wird, dass er zur Beliebigkeit ausleiert und wir Mühe haben, Gesichter zu erkennen. Wir bilden Gruppen für alles Mögliche und machen sie zu exklusiven Clubs. Die Intention ist dabei nicht die anderen loszuwerden – wir brauchen sie, aber nur in einer sehr bestimmten Rolle: als Außen, ohne dass es unser Innen nie geben könnte. Was sie der Ausschluss kostet, existiert noch nicht mal als Frage, sondern wird entweder als unumgehbar in Kauf genommen, oder wir schieben das Problem von Ein- und Ausschluss selbstgewiss auf die Ebene der Institutionen. Wenn wir versuchen es besser zu machen, organisieren wir uns in Kollektiven, die oft genauso sehr ein Körper sind, nach Außen eine repräsentative Marke, nach Innen von Hierarchien, Druck und toxischen Beziehungen durchzogen – was wir plötzlich akzeptieren, weil es ja Kollektive sind. Wir setzen auf die eh schon stärksten Pferde im Freund:inneneskreis, in der Hoffnung dass von ihrem Gewinn auch etwas auf uns abfällt. Wir kriegen Angst uns umzudrehen, den Kopf zu wenden, nach denen, die zu schwach fürs Rennen werden; denen, die Absage um Absage erhalten; die nicht produktiv genug sind und genau deswegen kaputt gehen; die, die Sprache irgendwie nie lernen und immer den falschen Code bedienen; die, die sich betäuben müssen und dem Rausch verfallen; die, die von ihren dayjobs aufgefressen werden oder von der kriechenden Geldknappheit langsam zermalmt bis sie innerlich die ausgewaschenen Pullis sind, die sie tragen; die, denen die Lebensumstände flach ins Gesicht schlagen und die danach nicht mehr aufstehen. Vermeintliches Versagen oder Schicksal und die Einsamkeit, die mit ihnen kommt, muten an wie Ausdünstungen, die uns innerlich die Nase rümpfen lassen, weil sie ansteckend scheinen, obwohl sie es nicht sind; die die Angst in uns auslösen, es könnte uns selber treffen, weshalb wir besser einen Sicherheitsabstand halten.


       Wir machen Kunst, weil … ja warum? Wenn wir Kunst machen, um mit ihr Erfolg zu haben, ist der heilige Gral, dem wir am Ende der Treppe entgegenlaufen, weniger die Möglichkeit überhaupt Zeit zu haben künstlerisch tätig zu sein, noch die Qualität dessen, was wir produzieren, oder Teil einer Community zu sein. Was abstrakt hinter dem letzten Absatz glänzt, ist der spitze Bogen zwischen Anerkennung und wirtschaftlicher Sicherheit. Wer zurückschaut, kriegt Höhenangst. Wir richten den Blick starr nach vorne, behalten die Stelle als Galeriedirektor:innen, Professor:innen oder Kurator:innen fest im Blick, lassen sie keinen Moment aus den Augen, die Position als hoch dotierte Künstler:in oder Schriftsteller:in, deren Kalender überquillt. Was sehr gerne verdrängen: Die Stufe nach oben ist immer weiter entfernt als die nach unten, das gestrickte Netz leichter wieder aufgerippelt als Schlaufe um Schlaufe zu einem Leben mit Beruf(ung) zusammengestrickt.

       Im Neoliberalismus hat das Erfolgsversprechen – die Schubkraft der Konkurrenz – seine Künstlersuperstar(ohne :in)-Funktionslogik der Moderne, längst verloren. Die Aufwärtsmobilität ist ins Stocken geraten und Prekarität nimmt zu. Einer unter vielen Gründen, sind die seit Jahrzehnten steigenden Zahlen an Kunststudierenden. Angewachsen zur einer ganzen Armee an Künstler:innen, teilen wir die Liebe zur Kunst und Poesie (davon ist zumindest auszugehen) und meist auch das Begehren diese zum Beruf zu machen. Dies kann man entweder als glückliche Entwicklung verstehen oder als Bedrohung: Erfolg nämlich, wie wir ihn gemeinhin definieren, fußt auf der Idee der Knappheit der Resspurcen und dass Talent nur in Ausnahmen wohnt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jeder Erfolg, der uns zuteilwird, zu einem gewissen Grad auf Kosten anderer gehen muss.

       Psychisch hinterlässt das Spuren. Nicht erst seitdem dem Virus sind unsere Zustände ernst bis pathologisch. Wir haben Schlafstörungen, Essstörungen, Zwangsneurosen, Panikattacken, Süchte, Depressionen, Suizidgedanken und Psychosen. Sorgenvoll und hilflos sehen wir dabei zu, wie sie durch die uns nahen Körper ziehen, wie auch unseren eigenen. Das liegt nicht nur daran, dass wir Kunst machen. Ihr Bedingungen, sind gleichwohl Katalysator dieser affektiven Schieflagen, von Scheißgefühl bis psychische Erkrankung.

       Ungestört davon flüstert uns das zarte Pastellblauorange des Erfolgs die alte Verheißung des Aufstiegs ins Ohr. Verkleidet als Kämpfer:innen der Kritik (der Auftritt sowohl Schein wie Sein), folgen wir dem Gesäusel der Karriere, schimpfend, anprangernd, abkotzend – aber doch folgend. Ihre Zeige- und Mittelfinger greifen in den Speichel hinter unserer unteren Zahnreihe und wir gehen langsam in die Knie, angewidert, angeturnt. Heimlich stecken wir uns kleine Triumphe in die Tasche in der Hoffnung, dass es niemand bemerkt. Schon gar nicht wir selbst. Was wir verfolgen, klebt stets am Horizont, immer den gleichen Schritt weit entfernt. Grundlos, grausam optimistisch, starren wir ihm entgegen.

       Wir alle sind von neoliberalen Begehren durchzogen, haben die Funktionslogik des Kapitalismus im Fleisch. Sonst wäre er nicht so effektiv. Und auch: Das Spiel zu spielen, lässt uns überleben. Für den Zaungast gibt es keinen Gehalt. Trotzdem ist es möglich diese Begehren zu erkennen und gemeinsam einen Umgang mit ihnen zu finden. Vielleicht einen, der uns weniger zerstört als den, den wir gerade pflegen. Dafür allerdings müssten wir reden: über Erfolg, über Neid, über Höhenflüge und Abstürze, über Voraussetzungen und Möglichkeiten, das Verhältnis von Beziehungen und Kapital und auch darüber, wen und welches Verhalten dieses System eigentlich fördert. Wir müssten über unsere antinomischen Begehren reden und darüber, dass sie in uns oft erbitterte Kämpfe führen, die leichenüberzogenen Schlachtfelder auf unseren Seelen hinterlassen. Wir müssten reden über unsere Traumbilder und Hoffnungen und darüber, was es heißt Autor:in einer Arbeit zu sein.

       Wir konzentrieren uns auf die Ungerechtigkeiten der Welt, der Kunstwelt, aber an der Stelle, wo ihr Geist uns selbst durchzieht, verstummen wir meist. Wer wird wie und warum zu Ausstellungen eingeladen? Wer finanziert wie sein Leben? Wie und wo genau produzieren wir unser symbolisches Kapital? Welche Gemütszustände begleiten uns dabei? Haben Intentionen ein Gewicht? Was sind die Konsequenzen, wenn wir geforderte Verhaltensweisen nicht erfüllen können oder wollen? Rar sind Versuche wie die von Texte zur Kunst mit ihrer kürzlich erschienenen Ausgabe zum Thema Neid, die Intersektion von persönlichem Affekt und systemischen Funktionslogiken sehr nah ranzuholen, so nah, bis es wehtut. Aber auch in Texte zur Kunst schreibt kaum eine:r über eigene spezifische Bezogenheit auf den Neid und Konkurrenz des Marktes. Intransparenz bleibt Brennstoff des Kunstbetriebs.

       Es kann nicht um Einzelschuld gehen, wer eine gute oder schlechte Freund:in ist; nicht darum an den einzelnen zu appellieren, der bessere Mensch zu sein – obwohl das nie schaden kann. Schon gar nicht kann es darum gehen den phallischen Freundesethos wiederzubeleben, uns gegenseitig Ehre und Loyalität auf die Schultern zu klopfen, uns als Avantgarden zu verstehen und zu denken das würde jedes Verhalten legitimeren. Was aber kann dann als Zukunftsentwurf einer Sozialität im Kunstbetrieb dienen? Wie seinen besonderen menschlichen Anforderungen begegnen, wie den Affekten, die er produziert. In welchem Rahmen können wir die Mechanismen der Kommodifizierung zumindest soweit reduzieren, dass die Frage danach, wie man solidarisch in Beziehung tritt und sich gegenseitig unterstützt, überhaupt möglich wird.  Wie kann Fürsorge nicht nur Thema einer Ausstellung, sondern eine Frage von DU und ICH werden? Hier, jetzt, heute. Im Zweifelsfall hätte dies heilende Kräfte, nicht nur im Persönlichen, sondern auch in unseren Arbeitsprozessen, die gerade in der Kunst oft schwindelerregend nah an dem liegen, wer wir als Person sind. Kunst als Objekt muss keine heilende Funktion besitzen, nicht „gut tun“, oder die gleiche Moral besitzen, die es hat, wenn man einer alten Oma über die Straße hilft. Für ihren Herstellungsprozess aber sollten möglicherweise andere Parameter gelten. Dafür wäre es wichtig zu verstehen, dass das Possesivpronomen MEINER Arbeit irreführend ist.


     Denn unsere Arbeiten sind Riesenhäuser, Villen gar von vielen bewohnt. Den Keller haben die ausgebaut, die wir zitieren, in deren gemachten Betten wir rumlümmeln und sie durchwühlen. Manhmal schweben sie auch als blasse Geister durch die Flure und unsere Körper machen einen Satz, wenn sie mühelos durch unser Fleisch schlüpfen. Im Gartenhaus nehmen unsere Familien und Vorfahren ihr Recht auf lebenslanges Wohnen in Anspruch. Wenn sie uns friedlich gesonnen sind, warten sie dort, bis wir sie besuchen. Wenn nicht, stehen sie immer wieder ungefragt in unserer Küche, die wir kettenrauchend mit unseren Freund:innen belagern und verstreuen grobkörniges Salz auf dem Boden, das unter unseren Schritten knirscht. In dem Haus wohnen auch all die, die uns unsere Sprache geben haben, Worte und Gesten für alles Mögliche. Jedes einzelne Gespräch hat sein Zimmer, jeder Laut seine eigene Schublade, jeder Rat sein persönliches Eck. Die Schränke sind voll, mit gekochten Abendessen, Anrufen, einmal abholen hier, zur Post bringen da. Überall liegen Ohren herum, die gehört, Hände, die berührt, und Augen, die uns den Spiegel vorgehalten haben. Jede freie Fläche ist triefende Abwesenheit, die spürbare Nicht-Präsenz derer und dessen, dass sich woanders rumtreibt und sich selbst versorgt, unseren abgewendeten Blick erträgt, während wir beschäftigt sind. Hin und wieder, wenn wir es am wenigsten brauchen können, kriecht das Ungeziefer alter Entmutigungen und Demütigungen aus den Ritzen, bis uns ein Hausbewohner:in die Fliegenklatsche reicht. Die Gefühle müssen im Wohnzimmer leben, in den Wänden, im Teppich, im Stuhl und in den Sofas, auf denen wir gemeinsam lungern. Dünn, verästelt, wie ein Venengeflecht, in dessen Strom Unsicherheiten, Schmerzen, Peinlichkeiten und Freude zirkulieren, wo wir verwundbar sind und generös, bis es Krampfadern gibt, die dem dicken Fleisch des Marktes und seiner zähen Konkurrenz etwas entgegenzusetzen haben. Keine Arbeit ist kein Haus. Keine Arbeit ist nur von einem paar Hände geschaffen, einem Geist entsprungen. Das Haus gehört uns nicht. Wir sind nur eine seiner Siedler:innen, wenn auch eine ganz Besondere. Enteignet, durchgehend beschäftigt, koordinierend, motivierend und choreographierend ziehen wir täglich von Zimmer zu Zimmer, renovieren Teile und bauen um und aus, während anderen das Gleiche tun.

       Die Veräußerung des Ichs und seines Werks, vielleicht der erste Puls einer alternativen Infrastruktur, die Sorge nicht als Thema von unzähligen Ausstellungen, sondern als deren Funktionslogik zum Einsatz bringt. Gespräche über die Untrennbarkeit von Affekt, System und Arbeit wären dann fester Bestandteil von institutionellen und außerinstitutionellen Strukturen. Die Umverteilung von Wertzuschreibungen würde Kunst wie wir sie kennen, als Produkte und Brands von Selbstinvestitionen, gänzlich auf den Kopf stellen: Es gäbe Preise, die gescheiterte Arbeiten honorieren, Stipendien für Künstler:innen in schwierigen Lebensumständen und Auszeichnungen für Kulturarbeiter:innen die Care-Arbeit leisten. Es gäbe Residencies für Künstler:innenassistent:innen und Kulturarbeiter:innen in der Administration, sowie Galerien, die für eine gerechtere Gewinnverteilung unter ihren Künstler:innen sorgen. Eine Autor:innenschaft ohne Autorität, mit Kunstwerken als Wohngemeinschaft.


       FEELINGS ARE SHIT, aber wirklich beschissen sind sie nur dann, wenn man mit ihnen alleine bleibt. Am beschissensten, wenn man das Gewicht ihrer systemischen Dynamiken nicht kollektiv in den Blick nimmt. Verantwortung für Versagen und Erfolg darf nicht allein dem Individuum zugeschrieben werden. Sicher müssen wir die Bedeutung von Erfolg an sich neu definieren. Er könnte zum Beispiel auch folgendes meinen: viele lokal organisierte Gemeinschaften, in denen wir unsere shitty feelings zu commons machen, zur Ressourcen für Widerständigkeit. Wir würden Raum schaffen für eine Kunst, deren Qualität sich nicht nach Leistung und Ich-Performance bewerten lässt, sondern nach der Sorge, den Kämpfen und der Leidenschaft, die in ihrem Haus gewohnt haben.

Texte, die mich bei diesem Text begleitet haben:

Texte zur Kunst, Heft Nr. 123, Neid/Envy; Texte zur Kunst, Heft Nr. 227, Besitz/Property; Bildpunkt, Zeitschrift der IG Bildende Kunst Winter 2021, Nr. 59, Der Wert der Kunst; Gregory Scholette: Dark Matter (2011); Jackie Wang: Oceanic Feeling & Communist Affect (2016); Nora Sternfeld: Es lebe die Autor:innenschaft, die allen Gehört (2021); Olivia Lang: Lonely City (2016); Cornelia Sollfrank, Felix Stalder, Shusha Niederberger (Hg.): Aestehetics oft the Commons (2021); Silke van Dyk, Tine Haubner: Community Capitalism (2021); Fred Moten, & Stefano Harney: All incomplete (2021); Jackie Wang u.a. : Friendship as a form of Life Zine (2017); Judith Butler: Giving an Account of Oneself (2001); Valentina Desideri & Jan Ritsema: The Care is in the Air (2021); Maggie Nelson: Freedom (2021).