Archiv: Spielregeln der Kunst
von Leonie Huber
in Kooperaion mit basis wien und Wolfgang Zinggl
in Kooperaion mit basis wien und Wolfgang Zinggl
Charakteristisch für ein Schreiben über Kunst, das aktuelle Diskurse und Ausstellungspraktiken kommentiert und reflektiert, ist seine Flüchtigkeit. Mit der Intention diesem entgegenzuwirken, präsentiert dis/claim in Kooperation mit der basis Wien pro Ausgabe einen Referenztext aus der jüngsten Vergangenheit. Begonnen wird mit der Vortragsreihe Spielregeln der Kunst, die von 1998 bis 1999 auf Initiative von Wolfgang Zinggl in mehreren österreichischen Städten veranstaltet wurde.
„Seitdem sich herumgesprochen hat, dass es sich bei Kunst um ein soziales Konstrukt handelt, liegt die Frage nahe, wie so ein Konstrukt entsteht. Bildet sich Kunst irgendwie, wie das Wetter? Da ein Hoch, dort eine Front?“
Die Diagnose und Fragestellung hat nicht an Relevanz verloren, seitdem sie Ende der neunziger Jahre Ausgangspunkt der Veranstaltungsreihe Spielregeln der Kunst war. Auf der Einladungskarte zur ersten Runde 1998/1999 ist das Spielfeld kartographiert: In fünf österreichischen Städten – Graz, Wien, Linz, Salzburg und Innsbruck – diskutieren Akteur:innen aus Theorie und Praxis zu den Themenbereichen Machtverhältnisse, Gegenöffentlichkeit, Ökonomie, Kunstuniversitäten und Kunstkritik. In der zweiten Runde 1999 wurde das Feld um Bregenz als sechsten Veranstaltungsort erweitert und um Diskussionen zu den Schlagwörtern Medien, Beruf Künstler:in, Ausstellungspolitik, Theorie, Museen/Sammlungen, Kunstgeschichte, Kulturpolitik ergänzt.
Der Initiator des Projekts, Wolfgang Zinggl, hatte von 1997 bis 2000 gemeinsam mit Lioba Reddeker die Position des Bundeskurators für Bildende Kunst inne. Diese Aufgabe umfasste die Förderung von österreichischer Kunst mit den Mitteln des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst und war ein wesentliches kulturpolitisches Instrument der neunziger Jahre. Aus dem persönlichen Archiv von Lioba Reddeker ist die basis Wien entstanden, ein Dokumentationszentrum zur aktuellen Kunst in und aus Österreich unter Berücksichtigung internationaler Kontexte, das heute von Helene Baur, Verena Lindner und Andrea Neidhöfer im 15. Wiener Gemeindebezirk betreut wird. Dort habe ich in Archivbeständen, die von dem Kurator:innen-Kollektiv section.a an die basis übergeben wurden, die Spielregeln der Kunst entdeckt.
Aus mehreren Gründen erschien es mir reizvoll die Spielregeln der Kunst in der ersten Ausgabe von dis/claim zu präsentieren und hiermit die Kooperation mit der basis Wien zu inaugurieren. Zunächst zeigen die diskutierten Fragestellungen und Vortragenden die Kontinuität und Persistenz einer Reflexion der rahmenden, definierenden und normierenden Praktiken von zeitgenössischer Kunst seit den neunziger Jahren. Weiterhin verweist der Titel der Veranstaltungsreihe auf die Mechanismen und Machtverhältnisse, die einen Diskurs über Gegenwartskunst strukturieren und die Handlungsfähigkeit von Akteur:innen in dem Feld regulieren. Schließlich impliziert nicht zuletzt die Gestaltung der Einladungskarte die Möglichkeit einer spielerischen Intervention in bestehende Verhältnisse und Regularien.
In seinem Vorwort zu der auf der Veranstaltungsreihe basierenden Publikation mit demselben Titel beschreibt Wolfgang Zinggl den Kontext und die Intention des Projekts: „Vom Herbst 1998 bis zum Sommer 1999 habe ich als Bundeskurator für Kunst in Österreich eine Ringvorlesung mit dem Titel Spielregeln der Kunst initiiert. Fachleute aus der Schweiz, aus Österreich und aus Deutschland vertraten die wichtigsten Institutionen der Kunst: die Museen, Universitäten, Zeitschriften, die Politik, den Kunsthandel, die Medien und eine Gegenöffentlichkeit. Sie alle stellten in Graz, Wien, Linz, Salzburg, Innsbruck und Bregenz ihre Thesen vor und diskutierten mit Fachleuchten und Publikum vor Ort. Insgesamt waren bei über siebzig Veranstaltungen dreißig Vortragende an dieser Ringvorlesung beteiligt.
In der Veranstaltungsreihe wurde die Faktoren des Kunstbetriebs beobachtet, die neben den Ausstellungshallen und Museen an der Konstruktion von Kunst heute beteiligt sind. Gemeinsam bilden diese Institutionen einen Mechanismus, der für das soziale Gebilde ‚Kunst’ bestimmend wirkt. Aber sie haben natürlich nicht alle die gleiche Macht in diesem Bestimmungsprozess. Und vor allem verschieben sich die Machtverhältnisse zwischen den Mitspielenden mit jeder technischen und ökonomischen Veränderung. [...] Die Vortragsreihe sollte das Zusammenwirken der Kräfte, die heute für die Konstruktion von Kunst maßgeblich sind, transparent machen. Sind die Regeln des Spiels einmal bekannt, lassen sie sich auch verändern – zumindest aber ermöglichen sie das Mitspielen.“[1]
[1] Wolfgang Zinggl: Vorwort. In: Ders. [Hg.]: Spielregeln der Kunst. Verlag der Kunst: Amsterdam/Dresden 2001, S. 7-9, hier: S.8f.