Archiv: remember ansgar!
von Leonie Huber
in Kooperation mit basis wien und Eva Ursprung
in Kooperation mit basis wien und Eva Ursprung
Ansgar Schnizer war Kernphysiker und Musiker, führte einen hochgradig ästhetischen Lebensstil und bewegte sich in verschiedenen subkulturellen Nischen im Österreich der achtziger Jahre. Die Einladungskarte zu remember ansgar!, einer ihm gewidmeten Ausstellung im Forum Stadtpark in Graz 1999, ist ein Ephemera zeitgenössischer Kunst der letzten Jahrzehnte aus dem Archiv der basis wien, das in der zweiten Ausgabe von dis/claim präsentiert wird.
Ein junger Mann mit blauen Augen und vollen Lippen blickt erwartungsvoll in die Ferne. Hals und Kiefer sind überblendet von einem zweiten Foto des porträtierten Mannes in monochromen Gelbtönen. Dasselbe Gesicht strahlt mit glänzenden Wangen und entblößten Zähnen, essend oder grinsend, in die Kamera. Die beiden Figuren lösen sich in einander auf, der eine scheint die Schneidezähne im Adamsapfel des anderen zu versenken. Der Hintergrund des Bildes verliert sich in einem körnigen, nächtlichen Blau-Schwarz. Die beunruhigende Spannung zwischen Traumbild und Unbehagen wird durch die Überschrift in roten Lettern nur noch gesteigert: „remember ansgar!“
Die Einladungskarte für die gleichnamige Ausstellung, die vom 10. September bis zum 04. Oktober 1999 in Forum Stadtpark in Graz zu sehen war, wurde von Pipilotti Rist gestaltet. remember ansgar! ist eine Hommage an Ansgar Schnizer, Kernphysiker und „Impulsgeber der Subkulturszene der achziger Jahre“[1].
Im Gespräch erzählte mir Eva Ursprung, Kuratorin der Ausstellung, dass Ansgar seine Ursprünglichkeit und Kraft ausgezeichnet habe. Diese Qualitäten strahlte auch die Einladungskarte aus, als ich sie zum ersten Mal in den Händen hielt. Diese Archivalie sei ihr direkt eingefallen, nachdem sie meine E-Mail zu niche fame gelesen hat, erzählte mir Helene Baur, während sie die Karte aus dem Hängeregister in der basis Wien nahm. Über die Sogwirkung des Bildes und des Schicksals von Schnizer hinaus, waren es die ihm zugeschriebenen Begriffe, die mir als eine bereichernde historische Perspektive auf das Thema der zweiten Ausgabe von dis/claim erschienen: Subkultur, Impulsgeber, Selbstinszenierung, ästhetischer Lebensstil, Lifestyle, trivialkulturelle Phänomene. Welche Bedeutung hatten sie in der Peripherie der Grazer Szene der 80er Jahre und welche haben sie heute? Wo befindet sich heute eine vergleichbare Nische und von welchen Impulsgeber:innen wird sie geprägt?
„Ansgar Schnizer wurde am 04.09.1962 in Innsbruck geboren und verunglückte am 16.10.1996 mit seinem Motorrad in Japan. Dazwischen lag ein dichtes, vielfältiges Leben: er arbeitet als Kernphysiker in Graz, Jülich, Wien und Kyoto. Gleichzeitig entwickelte er Anfang der 80er Jahre einen hochgradig ästhetischen Lebensstil, der, inspiriert von Punk, Comicstrips und anderen trivialkulturellen Phänomenen, jeden Aspekt seines Alltags prägte.“, schrieben Orhan Kipack und Eva Ursprung auf der Rückseite der Einladungskarte. Ursprung entwickelte das Projekt, als sie ein Auslandsstipendium für einen Aufenthalt in Japan erhielt und dort Kontakt zu Bekannten ihres verstorbenen Freundes Schnizer suchte. Die Geschichten davon, wie er seine letzten Jahre verbracht hat, nahm sie mit nach Graz und lud anschließend Künstler:innen und Wegbeleiter:innen ein, sich an einer Ausstellung im Forum Stadtpark zu beteiligen, u.a. Wolfgang Capellari, Manfred Erjautz, Pogo Erjautz, Sabine Groschup, Elmar Gubisch, Andreas Holzknecht, Sabine Hörtner, Helmut Kaplan, Claudia Märzendorfer, Pipilotti Rist, Peter Sandpichler, Eva Ursprung, Michael Zinganel. Zur Ausstellung erschien auch eine CD mit Solo-Aufnahmen von Ansgar Schnizer und verschiedenen Bandprojekten wie der Polenta Bande.
„[...] trotz vieler Reminiszenzen kein nostalgisches Weihespiel, sondern eine Manifestation aktueller Kunst“[2], schrieb Walter Titz in der Kleinen Zeitung über remember ansgar!. Und weiter: „Gemeinsamer Nenner ist das Interesse am scheinbar Banalen, an Alltagskultur, an dadaistischen Eingriffen in die Zusammenhänge einer wesentlich von Konsumkultur geprägten Gesellschaft deren Reichtum an Absurditäten sichtbar gemacht wird.“[3] Im Forum Stadtpark waren unter anderem die selbstgebauten, übergroßen Möbel, mit denen Schnizer lebte und die Normalitäten des Alltags ins Absurde verzerrte, ausgestellt; eine Sammlung aus Milchzähnen, ein Geschenk für Schnizers Traumfrau Inger Nielssen, Pippi Langstrumpf Schauspielerin aus den Sechzigern; originale Stapo-Akten zu einer Demonstration in Graz, an der sich Schnizer mit Waffen aus Karton und Pappelholz beteiligte.
In der springerin vergleicht Maren Richter remember ansgar! mit dem Programm des steirischen herbst, der zeitgleich im Herbst 1999 in Graz stattfand: „Während der steirische herbst heuer mit dem Projekt Re-Make/Re-Model diskursiv und eventorientiert nach Möglichkeiten suchte, die Geschichte der Popkultur in einer „secret history of pop, art and life“ darzustellen, zeigte das Forum Stadtpark, wie eine individuelle subkulturelle Biografie im Medium der Ausstellung aufbereitet werden kann. Die grundsätzlich hier implizierte Frage, ob und wie subkulturelle Lebensphilosophie als Selbstinszenierung einer kunstgeschichtlichen Nachbereitung bedarf, scheint in remember ansgar! im Forum Stadtpark eine pointierte Antwort gefunden zu haben. […] die Person [steht] für personifizierte Subkultur – als Musiker, bildender Künstler und Autor ebenso wie als Kernphysiker. Die Ausstellung zelebrierte dies auf drei Ebenen, Ansgars augenscheinlichem, Lebens-Lustprinzip folgend: zum einen als Ausstellung von Schnizers Arbeiten – er selbst verstand sich nicht als Künstler –, zum anderen als Hommage mit rund 20 Beiträgen von KünstlerInnen, MusikerInnen und Wissenschaftlerinnen, und zum dritten als eine daraus resultierende Geschichtsschreibung über den Lifestyle einer KünstlerInnengruppe im Grazer Sozialgefüge der achtziger Jahre.“[4]
[1] F.N.: „Kernphyisker und Künstler“ In: Neue Zeit, 11.09.1999.
[2] Walter Titz: „Grenzen und Geschlechter“ In: Kleine Zeitung, 29.09.1999.
[3] Ebd.
[4] Maren Richter: „remember ansgar“ In: Springerin, Band V, Heft 4/1999, S. 63f.