Μακάρι να μπορούσα να ζωγραφίζω στα ελληνικά.
von Nadja Abt
Ich wünschte, ich könnte auf Griechisch malen. Denn schreiben und sprechen kann ich die Sprache nicht. Es folgen ein paar Gedanken zur Verkettung von autobiografischem Schreiben und künstlerischer Produktion und zur Verwendung verschiedener Sprachen. Die Malerin und Schriftstellerin Etel Adnan war für diese Überlegungen wichtig. Im August las ich gemeinsam mit der Künstlerin Ayla Dmyterko Strophen aus Adnans Gedicht „To Be In A Time Of War“ (2003) für eine Performance mit meinen Malereien in Skowhegan, ME, USA. Es war auf mehreren Internetseiten als PDF zu finden. Nun möchte ich für diesen Text wieder daraus zitieren, finde das Gedicht aber nicht mehr, auch Ayla im UK nicht. Beim Auspacken der Bücherkisten (es gab vor Kurzem einen Umzug) finde ich es dann aber doch noch gedruckt, in den gesammelten Werken. Kurzerhand entschließe ich mich, die letzten beiden Strophen des Gedichts hier abzutippen – als Hinführung zum Text und Rückführung ins Internet. Lest sie als eine Art distracting Voiceover zu den darauffolgenden Gedanken.
To notice that mirrors shine during the night and that the mail is waiting to be answered. To worry about the war being waged so far away, so secretly. To already think of the next war. To hammer one’s anguish into oneself. To bring about a bird’s world in one’s imagination. To gaze at the Hudson River through one’s eyelashes. To spit pollution. To drive through a green light. To avoid an accident. To become an object. To become the object that that object protects. To hang on nothing. To live with no desires.
To try to be distracted by poetry, by trees. To see the trees grow, in a hurry. To appear and disappear. To take refuge from bestial conquest in false shelters. To chase the refugee, to flush him out of his new refuge. To lodge a bullet in the head and the back of a Palestinian. To add Iraqis to the butchery. To paint big canvases with blood then take a night train, then a plane. To disembark in Paris. To pick up the telephone, dial a number in Beirut. To hear the friend say that a Palestinian newsman has been cold-bloodedly shot by some earnest monotheist. To wonder on the necessity of God. To brush the problem aside. To think of Cassandra. To remember the Hammurabi Code. To sink in fat. To look at the narrow and long road that leads the world to the slaughterhouse.
Ich lese viel. Wobei jetzt gerade sind wir umgezogen und in den letzten Wochen habe ich nur ein einziges Buch gelesen. Davor war ich auf einer Summer School für Künstler:innen im US-amerikanischen Skowhegan, Maine. Ich wusste, dass es wenig Internetzugang geben würde, und packte mir fünf Bücher in meinen Koffer. Eines habe ich beendet, aber nur, weil ich es bereits auf der Anreise in New York begonnen hatte. Ich versuche also, viel zu lesen. Und die für mich wichtigen Dinge zu markieren, um sie später auf Karteikarten zu schreiben. Diese Karteikarten reisen immer mit. Ich könnte die Sätze, die darauf stehen ja irgendwann gebrauchen – für einen Text oder als Anhaltspunkt für eine neue Arbeit.
Oft habe ich, wenn ich schreiben musste, ein bestimmtes Buch, dessen Sprachduktus mir passend erschien, aus dem Regal gezogen, darin gelesen, um mir den Stil anzueignen und dann meine eigenen Sätze aufs Papier zu bringen. Vor fünfzehn Jahren war das oft Elfriede Jelinek – heute auch noch, wenn ich Worte hin- und herdrehen möchte, Ingeborg Bachmann für die sanftere, aber nicht weniger vehemente Einforderung einer feministischen Agenda Manchmal Jean Genet für seine Poesie und Bilder, genauso wie David Wojnarowicz, Virginie Despentes für ihre Aggressivität, Deborah Levy für ihre Präzision in kurzen Sätzen. Die Liste könnte weiter gehen.
In der Kleinstadt im Nordwesten Bayerns, in der ich aufgewachsen bin, versenkte ich mich so tief in dicke Romane, bis sich mir die Tristesse und Enge des Katholizismus der Region als Anfangspunkt guter Geschichten erschloss. Ich formulierte in meinem Kopf Orts- und Landschaftsbeschreibungen in ähnlich romantischen Bildern, wie ich sie gerade las. Madame Bovary, Effi Briest, Anna Karenina. Wie sie wäre ich gerne in Ohnmacht gefallen, wenn sich die Umgebung erstickend anfühlte – aber das ist mir nie gelungen. Ich führte fiktive Interviews mit mir selbst, erprobte, wie ich in Zukunft auf meine Kindheit zurückblicken würde, sie für ein größeres Publikum verklären oder dramatisieren würde. Damals las ich alles in meiner Muttersprache Deutsch, d.h. meine inneren Worte waren Deutsch. Mit der Zeit kamen immer mehr Sprachen hinzu. Es gelang mir für eine gewisse Zeit, auf Portugiesisch zu denken und zu träumen. Dank der melodiösen Sprache und dem grundsätzlich affirmativeren Sprachgebrauch mit Hang zu Euphemismen konnte ich in Brasilien eine andere Person sein – sanfter, weniger aggressiv. In São Paulo versuchte ich mich auch wieder in einer Sprache, die ich mein gesamtes Kunststudium über aus Gründen verdrängt hatte, die mir im Nachhinein auch nicht mehr schlüssig erschienen – es war einfach nicht „cool“: das Malen. Wie zuvor bei Büchern sah ich mir brasilianische Neokonkretist:innen wie Lygia Clark und Hélio Oiticica an und versuchte, mir ihren Duktus anzueignen. Ich mag den Gedanken, dass Malen eine Fortsetzung der Sprachen ist, in denen wir gerne leben würden oder wir uns zu Hause fühlen, die uns an unsere individuellen Geschichten erinnern, die wir nicht fließend sprechen, dafür aber in Farbe und Form ausdrücken können. Dieser Gedanke ist auch nicht von mir, sondern von Etel Adnan (1925–2021), einer libanesischen Schriftstellerin und Malerin. Adnan, die in Beirut aufwuchs, kam aus einer Familie, in der Griechisch, Türkisch und Französisch gesprochen wurde. Nach vielen Stationen der Flucht und Migration lebte sie mit ihrer Partnerin, der Künstlerin Simone Fattal, neben Paris und Beirut auch an der Westküste der USA, wo sie an der Dominican University of California in San Rafael lehrte. Als sie einer Kollegin klagte, dass sie tief in ihrem Herzen das Arabische als ihre Heimatsprache verstehe, aber nicht richtig sprechen könne, riet ihr diese, auf Arabisch zu malen. Adnan schreibt dazu in ihrem Essay „To Write in a Foreign Language“:
“The fateful conversation not only instantaneously freed my hands, but also, like a planet changing orbits, it directed my attention, and then my energies, toward a new art form which meant a new universe of interests. I went to the Art Department in my free time and I started painting. I soon realized that to me this meant a new language and a solution to my dilemma: I didn’t need to write in French anymore, I was going to paint in Arabic.”
Ich selbst habe keine Fluchterfahrung. Mein Vater ist mit seinem Vater, einem Pontosgriechen mit Familie in Thessaloniki und Istanbul, in Venezuela aufgewachsen. Ich wiederum mit keinem dieser Männer, dafür aber mit deren russischen Nachnamen. In einer bayerischen Kleinstadt reicht das aus, um ständig gefragt zu werden, woher man eigentlich komme. Wenn ich in Griechenland bin, fühle ich mich seltsam zu Hause. Ich werde auf Griechisch angesprochen und kann nichts antworten. Es fühlt sich wie ein tiefliegender Verlust von Teilen der eigenen Identität an, wobei es sich nicht wirklich um ein Verlustgefühl handeln kann, da die Sprache ja nie Teil meines Aufwachsens gewesen ist.
Adnans Sätze weckten in mir eine Klarheit über das eigene Arbeiten, wie ich sie vorher nicht gesehen hatte. Schreiben und Malen kann gemeinsam passieren, wie zwei Sprachen sprechen zu können.
Seit ich denken kann, war ich immer zwischen der Literatur und der bildenden Kunst hin- und hergerissen. Menschen in der Berliner Kunstwelt gaben mir immer wieder zu verstehen, ich müsse mich für eine Richtung entscheiden. Wobei ich im Studium die Arbeiten von New Yorker Künstler:innen wie Wojnarowicz und Moyra Davey kennengelernt hatte, deren Collagetechniken Schrift und Bild miteinander verbinden. Beide vermischen dabei Autobiografisches mit Referenzen aus der Literatur- und Kunst. Daveys Texte etwa stellen einen Bezug zu ihr wichtigen Künstler:innen und Kolleg:innen her und beschreiben damit einen Teil des Entstehungsprozesses ihrer filmischen und fotografischen Arbeiten. In ihren Publikationen wie beispielsweise Burn the Diaries (2014) kommen Fotografien und autobiografischer Text als gemeinsames Werk direkt zusammen.
Bei Adnan liegen ihre Gedichte und Essays und pastosen abstrakten Malereien mehr nebeneinander. Sie ergänzen sich. Adnans Entdeckung, dass Sprache, die nicht gesprochen, gemalt werden kann, eröffnete mir den Horizont, Literatur und Malerei als Fortsetzung voneinander zu denken. Ich bin keine ausgebildete Malerin, aber habe gelernt, über Bücher nachzudenken. Wenn es mir gelingt, Farbe, Form und Material sozusagen als grammatische Struktur zu begreifen, fällt mir das Malen leichter. Ich versuche, die Arbeiten anderer Künstler:innen, die ich bewundere, als Roman zu lesen. Wie bei den Karteikarten bleibt idealerweise immer ein Stück hängen, das in die eigene Arbeit rutscht. Ich muss mich nicht mehr entscheiden und kann das eine für das andere verwenden und umgekehrt.
Aber in Adnans Worten steckt auch noch eine andere Ebene: die eines tiefen Nachdenkens über Flucht, Kolonialismus und Migration, über den Verlust der eigenen Heimat und Sprache, bzw. über das Aufoktroyieren einer Sprache der Unterdrücker*innen. Adnan hatte Arabisch nie richtig gelernt, weil es in der Schule in Beirut unter französischer Mandatsverwaltung verboten war, Arabisch zu lernen und die Sprache auf die Straße verbannt wurde. Diese Umwandlung des eigenen Verlusts (des Arabischen) in eine neue Ausdrucksform (die Malerei) zeichnet Adnans unglaublich bewundernswerten Optimismus und ihren politischen Aktivismus für mich aus. Ihr, zu Beginn dieses Texts bereits zitiertes, Gedicht „To Be In A Time Of War“ ist eine aufmerksame und zutiefst traurige Selbstbeobachtung zu Beginn des Irakkrieges 2003. Adnan schafft es immer wieder, der Sprachlosigkeit Worte und Bilder entgegenzusetzen. Das Gedicht beginnt mit den Zeilen: „To say nothing, do nothing, mark time, to bend, to straighten up, to blame oneself, to stand, to go toward the window, to change one’s mind in the process, to return to one’s chair, to stand again […]”
Vielleicht kommt meine momentane Unfähigkeit, Romane zu lesen, aus genau dieser von Adnan beschriebenen physischen und gedanklichen Rastlosigkeit. Es fällt schwer, sich auf die Schönheit von Sprache einzulassen, wenn so viel Sprache für Lügen und Gewalt missbraucht wird. Ich möchte nicht in Sprachlosigkeit enden, im Gegenteil Worte finden gegen das Grauen eines Genozids, gegen das Schreien der Autokraten, gegen die täglich steigende Zahl an Femiziden und die schwindenen Rechte für meine Queer Community. Ich weiß nicht genau, wie sich Poesie und Kunst mit dem Aufbäumen gegen die aktuelle Politik verbinden lassen, und ich spüre, dass ich beim Herausfinden zu langsam bin. Ich versuche, mir Adnan zum Vorbild zu nehmen und nicht zu verzweifeln, mich nicht vollkommen zurückzuziehen und zu verstummen. Es ist mir noch nicht gut gelungen. Aber ich werde versuchen, weiterhin Sprachen zu lernen, um weiter zu malen.
Alle Zitate aus: Thom Donovan, Brandon Shimoda (Hrsg.): An Etel Adnan Reader, Volume I und II, Nightboat Books, 2014.