Archiv: Objekt und Ideal

von Leonie Huber in Kooperation mit basis wien – Archiv und Dokumentationszentrum und Christian Egger


Die Review der Ausstellung Idealismusstudio im Grazer Kunstverein von Christian Egger, beantwortet Kurator Søren Grammel mit einem Leserbrief. Die Veröffentlichung des ursprünglich in Spike erschienen Textes und der Replik in der ztscrpt von Christian Egger, wird als Archivalie aus der basis wien in diesem Art Criticism Special präsentiert. Die Causa wirft Fragen nach der Legitimität und Einflussnahme auf Kunstkritik ebenso auf, wie sie einen humorvollen Blick auf das eigene Tun empfiehlt.


 


       Für die 18. Ausgabe von Spike (Winter 2008) schreibt Christian Egger eine Review der Ausstellung Idealismusstudio im Grazer Kunstverein (4.10.-22.12.2008).[1] Nach der Veröffentlichung erreicht ihn – über die ztscrpt Redaktion – ein Leserbrief von Søren Grammel, damaliger Leiter des Grazer Kunstvereins und Kurator der Ausstellung. Grammel kritisiert Eggers Kritik, er schreibt: „Dieses Warum – nur klärbar in Verbindung mit der Einlassung auf die in der Ausstellung geschaffenen Qualitäten – wäre doch interessant gewesen in einer Kritik? Kommt aber nicht zustande – weil sie, wie so oft die Kritiken von Künstlern – die auch Musiker sind, die auch Kuratoren sind, die halt alles sind und sein können, vielleicht auch Herausgeber, Filmemacher oder Models –, weil die alles produktionsästhetisch lesen.“ Im Sommer 2010 schaltet der Grazer Kunstverein in Spike eine Anzeige „not reviewed yet!“ unter einer Installationsansicht von Idealismusstudio:[2] „Schreibe eine Besprechung zu einer von 35 Ausstellungen des Grazer Kunstvereins aus den letzten 5 Jahren. Zu gewinnen sind 2.000 Euro, 1.000 Euro und die Publikation der besten 8 Texte.“[3] Diese Anzeige ist das Backcover der Ausgabe 20 Trixie, der von Egger mitherausgegebenen ztscrpt.[4] Auch die Review und der Leserbrief werden darin (um 180° gedreht) abgedruckt, um – so erzählt es Christian Egger mir im Gespräch – den Sachverhalt einer unvoreingenommenen Öffentlichkeit zu präsentieren.

       Ob die Leser:innenschaft der „eigenen“ Zeitung unvoreingenommen ist, vermag ich nicht zu beurteilen und bitte deshalb um Feedback per Mail. Durch die Wiederveröffentlichung der Ausstellungskritik für das Kunstmagazin Spike in der Künstler:innenzeitschrift Trixie ändert sich in jedem Fall der Kontext. Mit der Präsentation der Causa Idealismusstudio als Archivale der basis wien in der vierten Ausgabe von dis/claim wird der redaktionellen Selbstreferentialität eine weitere Ebene hinzugefügt. Die genaue Lektüre beider Texte offenbart Fragen nach der Legitimität und Einflussnahme auf die Erfahrung und das Schreiben von Kunstkritiker:innen, die an Aktualität nicht verloren haben.

       Unter dem Titel Objekt und Ideal setzt die Review mit der Frage nach dem im Pressetext zitierten „wir“ ein, das sich wiederum von der Ausstellung absetze, „woraus sich Probleme, Widersprüche und Fragestellungen entwickeln, die der Ausstellung selbst aber nicht schaden.“ Im Folgenden werden einzelne Werke und Konstellationen positiv (z.B. „David Jourdans meta-catchy Siebdruck nachhaltig gute Laune schafft – und vor allem Marika Löokes & Jüri Okas ‚Modell für suprematistischen Blumen-Kiosk’ (1985) […], die von der Ausstellung versprochene Gleichzeitigkeit von Unsicherheit und Entschlossenheit beschwört.“) und andere negativ hervorgehoben. Dass sich die Kritik auf „die Dominanz mehrerer, einander konkurrierender Displays“, „den Geist außergewöhnlicher Gruppenausstellungen wie ‚Die blaue Blume’ und ‚Eine Person allein in einem Raum mit Coca-Cola-farbenen Wänden’ der jüngeren Vergangenheit des Grazer Kunstvereins“ und damit vor allem auf die kuratorischen Setzungen konzentriert, erscheint mir angesichts deren prominenter Rolle in der Show legitim. Eggers Review endet mit einem längeren Zitat aus Klage von Rainald Goetz und dem Appell „für ein bisschen mehr Lärm, weniger Display Overkill und ein Quäntchen Schmutz“.

       Mit Goetz setzt auch die Replik von Grammel ein. Beim Betreten der Ausstellung durch den Lift, bündelten sich alle Fluchtlinien in einem Punkt (wie in der von Goetz im Klappentext beschriebenen Schlucht) und „die Totalität dieser Perspektive stand für die Vorstellung des (politisch-angewandten) Idealismus, allem und jedem in einem System seinen richtigen Platz zuweisen zu können“. Christian Egger betrat die Ausstellung nach eigener Aussage durch das Stiegenhaus. Ganz im Sinne von Idealismusstudio („Mir ging es um Autorität, nicht um Großzügigkeit und eine lockere Haltung.“) weist Grammel Egger in dem Leserbrief seinen Platz zu: „Es kommt dann gar nicht bis zur Auseinandersetzung warum etwas gemacht wurde und durch welche Mittel das zustande kommt und was für Effekte es hat. Deswegen bin ich ja total anachronistisch für die genaue Wahl des Berufs. Heute sind alle alles. Dabei: Eine Praxis gut zu machen ist ja schon schwer genug. […] Vergiss doch wenigstens, dass du Künstler und manchmal Kurator bist, wenn du Kritiken schreibst. Oder schreib keine Kritiken.“

       Die Causa Idealismusstudio wirft die Frage auf, aus welcher Perspektive eine Ausstellung zu beurteilen ist. Hat ein:e Kritiker:in das Recht, die ausgestellten Arbeiten über ihre Eingebundenheit in ein kuratorisches Konzept hinaus zu sehen oder muss er:sie dem ihm:ihr von der Kurator:in zugewiesenen Standpunkt einnehmen? Ist das Warum einer Abweichung in diesem Fall nicht ebenso nur in Verbindung mit der Einlassung auf die im Text geschaffenen Qualitäten zu klären – nicht aber durch das Rekurrieren auf festgeschriebene Berufsbilder? Die Kritik, dass Egger Künstler, Kurator, Kritiker und Redakteur sei, dürfte für Spike übrigens nicht überraschend gewesen sein. In der ersten Ausgabe der österreichischen Kunstzeitschrift ist die Redaktion der Zeitschrift einerseits in der Rubrik „Artist’s Favorites“ vertreten und Egger andererseits als Autor eines Porträts über seinen Künstler- und Redaktionskollegen Yves Mettler.[5] Die Frage ist auch, welche Verantwortung eine Redaktion gegenüber ihren Autor:innen hat, und ob sie neben der Kritiker:in nicht auch ihre eigene Arbeit diskreditiert, wenn sie eine Anzeige abdruckt, die behauptet, dass die besprochene Ausstellung noch nicht rezensiert wurde.[6] Ich wäre gerne die von Grammel beschworene Berufskritikerin, aber stattdessen zähle ich zu den: „Leute[n] die Kritiken schreiben, ohne sich 6 Tage die Woche mindestens 8 Stunden mit der Perspektive „Kritiken-Schreibende“ zu sein beschäftigen, sind immer auch ein bisschen wie Zahnärzte, die malen. Schuld an dem Dilemma bist natürlich nicht du, sondern das sind die Kunstzeitschriften, die ihren Autoren nichts zahlen, um ihnen die Zeit zu geben, die Arbeit braucht.“

       Doppelrollen und Interessenskonflikte sind nicht die Ausnahme, sondern charakteristisch für das Kunstfeld. Sie resultieren aus verschiedenen Wirkungsbereichen einzelner Personen ebenso wie aus ökonomischer Notwendigkeit. Manchmal werden sie kommuniziert, manchmal verschwiegen. In meiner Erfahrung, werden diese Verhältnisse oft in dem Moment kritisiert, wenn sie von der Norm abweichen: Der Stil, die Argumente, die Referenzen sich von einer konventionellen Review unterscheiden und aus dem in der zeitgenössischen Kunst institutionalisierten Normbruch ausscheren. Es ist ein schmaler Grat und, auf welche Seite das Urteil fällt, ist manchmal eine Geschmacksfrage und oft ein ideologisches Aufblitzen.



[1] Spike Art Quaterly, Issue 18, Winter 2008.
[2] Spike Art Quaterly, Issue 24, Summer 2010.
[3] Es finden sich keine diesem Aufruf folgenden Kritiken in den folgenden Spike-Ausgaben; die Antwort der heutigen Redaktion zu dem Fort- oder Ableben von „not reviewed yet!“ steht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Texts noch aus.
[4]  Die Kunstzeitschrift wurde 2002 im Umfeld der Wiener Akademie der Bildenden Künste gegründet, wechselt mit jeder Ausgabe die Schrift und ist nach der jeweils verwendeten benannt. Aktuell wird sie von den in Wien und Berlin lebenden Künstlerinnen Christian Egger, Christian Kosmas Mayer, Yves Mettler und Alexander Wolff herausgegeben. ztscrpt.net, „Trixie“, 09/2010.
[5] Christian Egger war auch in der ersten Ausgabe von dis/claim vertreten: Shows, Signals, Unvermögen – Krisen und Kreisbewegungen der Kritik  von Christian Egger & Margit Neuhold.
[6] In derselben Ausgabe von Spike, in der Eggers Review erscheint, finden sich ebenfalls zwei ganzseitige Anzeigen des Grazer Kunstvereins.