Steigen Sie aus
von Verena Dengler
Im August 2020 habe ich Leonie Huber kennengelernt, im Hauptraum der Wiener Secession auf einer Holz-Bank. Ein Teil vergangener Produktionen des Ausstellungshauses, das für Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G’stettn (Corona Srezessionsession Dengvid-20 :) ) aus der Werkstatt im Keller geholt und neu gestrichen wurde. Sie hat mit mir als Autorin für das PW-Magazine ein Interview geführt, das unter dem Titel Hier ist das Logo erschienen ist. Hinter uns offene Türen zum Garten hinaus. Die Ausstellung war die große Wiedereröffnung seit Ausbruch Coronas von dem Haus mit der aufwendig renovierten Fassade. Wir beiden blieben in Kontakt und mir wurde ihrerseits eine Rolle als Autorin angeboten, bereits für die zweite Ausgabe von dis/claim. Doch das timing wollte damals nicht mitspielen. Hier könnte sich noch ein Halbsatz anschließen, der darauf Bezug nimmt, dass auch dieser Text ein ‚Nachzügler‘ der dritten Ausgabe ist. Aber „Erklärung ist immer Unterwerfung“ – Wolfgang Döbereiner
Nicht für sich alleine stand Steigen Sie aus? (2011), eine kleine Papier-Arbeit (21 x 25 cm) von mir u.a. mit Antiktusche, Gouache, Wasserfarbe und Gel-Pen gemalt, in der Ausstellung Fantastischer Sozialismus im mumok Wien (23.2.–23.6.2013). Auf der Installationsansicht sieht man sie auf einer Seite der Skulptur Fantastischer Sozialismus, II[1] (2013): sieben Werke in und mit Rahmen, auf einem weiß gestrichenen Holz-Display (0,6 x 2 x 3 m). Mein Vater war leidenschaftlicher Hobby-Philatelist. Viele Jahre lang hat er an aufwendigen Alben über persönliche Sammelgebiete aus Geschichte und Politik gearbeitet. Er war wortkarg, aber gerne mit am Gschnas. Er hat fast alles immer in extremem Schneckentempo gemacht, in mancher Hinsicht wohl schon auch aus Liebe zum Detail. Manchmal wurde ich von ihm als künstlerische Beraterin herangezogen. Die philatelistischen Sammlerstücke wurden auf Auktionen oft unter mehreren unterschiedlichen Farbton-Bezeichnungen gehandelt. Als Steinbock der letzten Dekade war er immer im Dialog mit der Gewissheit und auf der Suche danach, was denn jetzt davon das letzte Wort sei. Damals waren Briefmarken noch eine echte Wertanlage. Er wusste als unstudierter Autodidakt der Generation Donauland über Grafik und neue Technologien durch Bücher wie Digital fotografiert, und dann? Runterladen, speichern, bearbeiten, ausdrucken, entwickeln, archivieren von Dr. Peter Albrecht in der Edition XXL oder National Geographic-Ratgeber sicher mehr als ich. Er setzte aber in mich, die Studentin der zeitgenössischen bildenden Kunst an der Wiener Akademie mit meinem Vierer in der LV Farbtheorie und -chemie damals, die Hoffnung und das Vertrauen, ihm vielleicht mit Sicherheit sagen zu können, ob es sich eher um „dunkelorangerot“ oder „dunkelbraunrot“ bei begehrten Drucksorten wie „Ersttagsblätter“ handelt. Ich habe ihm gesagt, dass es in dieser Angelegenheit meiner Meinung nach keine definitiv letztendliche Antwort geben kann, da diese Bezeichnungen menschengemacht wären. Ich stehe für das 12. Haus der Auflösung, aber im Sinne der Zersetzung. Es ging auch nicht um die Blaue Mauritius. Als er im August 2016 gestorben ist, habe ich einen Freund gebeten, eine Sonnenblume zu Füßen des Denkmals von Giordano Bruno am Potsdamer Platz in Berlin zu legen – von diesen Skulpturen gibt es insgesamt mehrere –, der gemeinsam mit Van Gogh eine der historischen Figuren war, die er mir gegenüber öfter erwähnt und zu der er auch gesammelt hat.
Die Steigerung bergauf über altes Kopfsteinpflaster stadtauswärts die letzten Meter vor dem Oberen Belvedere steht nur in einem hauchzarten Verhältnis damit, mit was für Prozentualangaben man sonst in der Welt der Berge rumhantieren könnte. Für Kinder der Stadt fühlt sich dieser steinerne Kastel-Untergrund mit ungeschliffenen Ecken in großformatiger Unterteilung in realiter aber allemal wie ein veritabler Ritt an. Der analoge Grid-Weg von einer Anbahnung lässt sich auch nicht so geschmeidig auf mein klappbares Zukunftsgefährt mit den zwei elektrisch betriebenen Rädern übertragen wie ein Klimt scheinbar für die meisten Kunstkritik*innen und Zeitgenoss*innen so einfach in ein NFT transferiert gehört. Funktional ist eben und was anderes. Die Kärntner Straße haben sie schon vor Jahren geglättet.
Auf dem Label, das man zu Gesicht bekommt, wenn man es durch Posen von Paaren mit ihren mobilen Geräten geschafft hat und dann für den Kuss da ist, sind diese Worte:
Material: Blattgold, Goldfarbe, Silber, Platin, Blei, Ölfarben auf mit Zinkweiß grundierter Leinwand, Schlagmetall (Messing) mit Lasuren übermalt. (Buchstaben auf Papier, Druckerfarbe auf Karton, Marke unbekannt).
Nach dem Skandal um die Fakultätsbilder hat sich Gustav Klimt erstmal zurückgezogen. Was danach kam ernährt heute gefühlt ein halbes Land.
Gute Dokumentationsfotos von Werken sind sehr aufwendig und kostenintensiv, als bildende Künstlerin weiß man das und blickt utopisch auf die Information, dass es sich bei den Klimt-NFTs um hochqualitative Aufnahmen von mit freiem Auge nicht sichtbaren Details handelt. Das Museum hatte bereits eine Online-Werkschau hochauflösender Klimt Gemälde veranstaltet, wo unter anderem auch die 1945 verbrannten Fakultätsbilder von denen nur noch schwarzweiß Fotos der Originale erhalten sind, mithilfe künstlicher Intelligenz in Farbe digital restauriert wurden. Jetzt ist dieses Klimt-NFT vielleicht kein Beispiel für „echte“ NFT-Kunst, aber es treffen hier viele der Probleme ihrer Rezeption am richtigen Ort zusammen. Karl Kraus, der Wiener Autor und Herausgeber der satirischen Zeitschrift Die Fackel, ein Zeitgenosse Klimts, hat den Künstler gerne als Zielscheibe für seine Kritik an den Auswüchsen des Kunstmarkts der damaligen Zeit und als obersten Anführer der Geschmacksverwirrung herangezogen. Er hatte immerhin noch so schöne Bilder für die seiner Meinung nach stumpfen Interessen eines bürgerlichen Sammler*innen-Publikums erfunden: Zum Beispiel schlug er, was Klimts allegorische Darstellungen der Fakultätsbilder angeht, vor, der Maler hätte doch eher eine Personifikation der Nationalökonomie malen sollen, wahrscheinlich würde man damit aber aufgrund fehlender Antennen und mangelndem Feinschliff auch nichts anfangen können.[2]
Mit Ways of Seeing hat John Berger 1972 einen wichtigen Beitrag geleistet, die traditionelle Kunstgeschichtsschreibung in Hinblick auf das, was man heute als „Klassismus“ bezeichnen würde, aufzubrechen. Er hat den Stellenwert, den ein Original hat, als sein Verhältnis zu den im Umlauf befindlichen Reproduktionen für die Massen herausgehoben und die kommerziellen Bildsprachen von Kitsch, Werbung, Merchandise miteinbezogen. Er hat auch auf die Gefahren einer pseudo-marxistischen Mystifizierung der Vergangenheit hingewiesen. Seine Kritik setzt an der zentralperspektivisch aufgebauten westlichen Geschichtsschreibung an. Klimt hatte sich mit japanischer Kunst beschäftigt und durch diese Anregungen inspiriert zu Neuerungen bei Formatierung und Komposition gefunden. John Berger schreibt – mit Walter Benjamin – darüber, dass die Bedeutung der Bilder im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit nicht mehr unbeweglich an den Originalen festhängt, sondern übertragbar („transmittable“) ist, also zur Information wird und wie alle Information keine inhärente Autorität besitzt, sondern entweder benutzt oder ignoriert werden kann, dass Reproduktion es möglich bzw. unausweichlich macht, dass dies zu allen möglichen Zwecken geschieht.
„Es stimmt schon, das Buch ist eigentlich eine Zumutung. Blankes Chaos, ein völlig unstrukturierter Brei (Döbereiner ist eben Fisch), durch den man sich mühsam durchkämpfen muss. Unverständliche Formulierungen, Sätze, die man fünfmal liest und immer noch nicht versteht. Wenn er mal anfängt, etwas systematisch durchzugehen, bricht er mittendrin ab, macht woanders weiter, lässt einen Teil ganz weg, so dass man als Leser viel Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz braucht.
Aber: bei Döbereiner finden sich Erkenntnisse über die Astrologie und darüber hinaus reichende Zusammenhänge, die ich sonst noch nirgends gefunden habe. Deshalb lohnt sich die anstrengende Lektüre dann doch.
Trotzdem würde ich mir wünschen, dass einmal jemand Döbereiners Bücher überarbeitet und in eine lesbare, gegliederte Form bringt.“ [3]
– Verena Dengler, Wien, im Oktober/Dezember 2023
[1] Die Skulptur ist eine Installation bestehend aus den Werken: Liebe unterm Kommunismus, 2006, 4-teilige Collage, Papierarbeiten, Passepartout, Klebeschrift; Nancy Kerrigan and Tonya Harding, 2006, 4 Siebdrucke auf Kopie; Konsum Genossenschaft, 2012, Öl Acryl, Kreide auf Leinwand; Dandy am Zentralfriedhof, 2003, Fine Art Pigment Inkjet Print; Tag der Arbeit Labour Day, 2010, Buntstift, Aquarell, Tinte auf Papier; Denglisch, Skulptur, 2013, Holzsockel, Fototapete, Stickbild, Metallschild;Steigen Sie aus, 2011, Tinte, Bleistift, Gouache, Gel-Pen auf Papier; Digitale Reaktanz in No Ma’am’s-land, 2012, Bleistift, Buntstift, Aquarell, Tusche auf Papier; Großmutter wir danken dir, 2000, C-Print zerkratzt.[2] Die Fackel, Nr. 521-530 1. 1920, https://fackel.oeaw.ac.at.
[3] „Astrologisches Lehr- und Übungsbuch“ Wolfgang Döbereiner, amazon.de Kundenrezension von tob12, 3.8.2011 (Zitat übernommen aus: „Dengled Up in Blue“, Essay von Dr. Envy Nordpol, Galerie Meyer Kainer Wien, 18 November 2014 – 16 January 2015)