Das letzte Drittel
Monolog zur gegenwärtigen Praxis des Review-Schreibens
Monolog zur gegenwärtigen Praxis des Review-Schreibens
von Ada Karlbauer
Das Review wurde für tot erklärt und trotzdem ist es noch da.
Es ist überflüssig geworden.
Es ist fake.
Es hat seine kritische Funktion verlernt.
Es klingt genauso wie ein Pressetext.
Es dient nur als caption für exhibition views.
Es bildet nur ab, umschreibt das, was sichtbar ist.
Es hat keine Funktion.
Es sagt nichts.
Keiner liest mehr.
Das sowieso.
Trotzdem werden Reviews weiterhin geschrieben, gedruckt, gepostet.
Warum?
Für wen?
Ein Monolog zur gegenwärtigen Praxis des Review-Schreibens aus der Perspektive einer Review-Schreibenden.
Die Beobachtung: Die Leser*innen von Reviews sind zu Geistern geworden oder waren es schon immer. Eine abwesende Anwesenheit oder eine anwesende Abwesenheit. Man kann es drehen wie man will, immer dasselbe: Ich kenne niemanden, der ein Review von mir gelesen hat (mit Ausnahme meines Vaters). Nicht persönlich, nicht ausgewiesen, nicht angesprochen. Ist diese fehlende Resonanz ein Urteil über die Qualität oder den Inhalt des Textes oder verbergen sich dahinter versteckte Botschaften? Es entstehen die inneren Verschwörungstheorien. Ich bin mir nicht sicher, ob man das Nicht-Lesen von Reviews als kollektives Phänomen festhalten kann, weil ich sonst mit niemandem in Austausch stehe, der*die Reviews schreibt. Es lässt mich an diesen Moment bei Openings denken, nachdem man die Ausstellung angeschaut hat, vor der Tür den Künstler*innen gegenübersteht und nichts sagt. Niemand sagt etwas zu dem, was rezipiert wurde. Erst später geheim. Der Gegenstand der Betrachtung wird ausklammert, als wäre er nicht vorhanden, als wäre man nur zufällig da. Der Inhalt löst sich auf. Eine Tatsache, die mich im Folgenden über das Nicht-Lesen von Reviews und die Auflösung deren Inhalts nachdenken lässt. Dabei werden die Verhältnisse zwischen Autor*in, Gegenstand und Rezipient*in betrachtet. Natürlich ist das hier auf die Spitze getrieben, weil es ein Monolog ist.
Seit ein paar Jahren schreibe ich fast ausschließlich Reviews. Sonst wäre das Subjekt hier ein Anderes. In Reviews schreibe ich nie aus der Ich-Perspektive, ich lasse mich selbst aus, hier beginnt jeder Satz mit „Ich“. In den Untersuchungsgegenstand bin ich reingerutscht. Vermutlich aufgrund mangelnder Eigeninitiative, temporären Ausfalls meiner Imagination, psychischer Probleme und, positiv betrachtet, auch deshalb, weil ich gerne Reviews über Ausstellungen schreibe, die ich mir selbst nicht ausgesucht habe. Einblicke in unbekannte Praktiken und Settings ohne Vorwissen oder Recherche. Der Moment, wenn andere die Auswahl treffen. An mein erstes Review kann ich mich nicht mehr erinnern. Mein letztes war über Troikas Terminal Beach. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es „das“ oder „die“ Review heißt.[1] Im Folgenden wird es um die Textsorte des Reviews gehen. Lose Gedanken nebeneinander formuliert: Status, Funktion, Inhalt. Der Begriff Review kommt dabei sehr oft vor.
Reviews werden allgemein als Tools einer vermeintlichen Kunstkritik betrachtet. Trotzdem stehen sie schon seit längerem unter dem Verdacht, ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr zu erfüllen. Ich selbst habe diese oft zitierte ursprüngliche, authentische Kunstkritik im Rahmen eines Reviews nicht erlebt, nicht gelesen. Kenne es nur aus der Theorie. Dieses Bild stammt aus den Erinnerungen von Anderen, möglicherweise aus einer anderen Zeit. Es handelt sich hierbei um ein Gegenbild, das den Status eines Verlustes attestiert. Dem Review ist demnach etwas abhandengekommen, ein Loch hat sich aufgetan. Ein kollektiver Verlust, der sich in der Geisterhaftigkeit der Rezipient*innen widerspiegelt? Diese beschworene Kunstkritik ist ein Gegenbild, an dem man sich abarbeiten kann, ohne konkretes Ziel, ohne Vorschlag dafür, wie eine Transformation stattfinden könnte. Fast wie ein Mythos wird dieses vergangene Bild, in den Debatten und Diskursen wiederkehrend, heraufbeschworen, es haunted die Gegenwart, und bleibt auch deshalb ohne Gegenentwurf. „Art wrtiting attempts not to judge, and yet presents itself as criticism, is one of the most fascinating paradoxes of the second half of the 20th century.“, heißt es in einer leeren Fußnote in meiner Notes-App, deren Verknüpfung gelöscht wurde. An dem Zitat verdeutlicht sich das Verhältnis, dass die Funktion von Art Writing oder eben Reviews irgendwann nochmal anders gedacht wurde, ohne den Verlust, das Loch, die Absenz.
Das Review organisiert sich überwiegend im letzten Drittel von Zeitschriften. Das letzte Drittel ist der Bereich, wo zuvor schon der Peak erreicht wurde, eigentlich schon alles gesagt sein sollte. Danach ist Abklingen und Auslaufen. Ein Raum des Überblätterns, im Layout dicht aneinander gedrängt. Die Autor*innen, deren Worte so nah an den eigenen sind, kennt man oft genauso wenig wie den Gegenstand ihrer Texte. Die Review-Seiten im letzten Drittel verhalten sich ähnlich wie die Werbeanzeigen am Anfang von Heften, der Unterschied zeigt sich hier vorwiegend in der formalen Gestaltung, selten im Inhalt. Reviews werden manchmal als Werbung für Ausstellungen genutzt, die gerade im Zentrum der Öffentlichkeit stehen, versteckt hinter Worten – „damit das auch abgedeckt ist“. Nicht immer, aber wenn, dann erkennt man es sofort. Ich selbst schreibe Reviews nicht aus Werbezwecken, die Intentionen meiner Auftraggeber*innen kenne ich nicht. Das letzte Drittel verhält sich wie ein Grenzgebiet, es ist eine transitorische Schwelle des Übergangs, um woanders hinzukommen, etwas anderes zu lesen oder um einfach, im Sinne der Chronologie und Vollständigkeit, das Heft zu Ende zu bringen. Trotzdem ist es immer noch da. Das Review umkreist sich selbst, beißt sich selbst oder das Review nebenan. In der Smartphone-Version meist zu lang, um das Ende zu erreichen.
Ich gehe fast nie zu Openings. Ausstellungen besuche ich nur für Reviews, alleine oder mit Kurator*innen-Führung. Es ist eine einsame Arbeit, ohne Commons. Der Review-Besuch findet hinter verschlossenen Türen statt. Ich glaube, ich habe den Moment verpasst, an dem eine Vernetzung stattfand oder – findet. Social Anxiety, manchmal mehr als das Umgangssprachliche. Immer reizüberflutet. Beim Betreten jeder beliebigen Ausstellung kippt der Kopf, wird zum Review-Blick. Der Analyse-Modus tritt ein und das Betrachtete wird zum Subjekt, zum Analyse-Gegenstand. Alles tritt in Zusammenhang. Patterns vor den Augen. Immer die gleichen Phrasen. Die gedankliche Materialisierung der Versprachlichung, der Zusammenhänge dieser art objects. Hier könnte man noch weiter die eigene Position als Schreibende von Reviews reflektieren, versuchen zu legitimieren, aber das führt zu Nichts, also bleib ich ehrlich. Das Review als Prozess wird zu einem Alibi, zu einer Koexistenz neben einer Realität von Ausstellungen und deren Protagonist*innen.
„Hey, hast du Lust darüber ein Review zu schreiben?“ schreibt H. „Ok, passt“ schreibe ich, ohne mir den Anhang anzuschauen. Nach diesem kurzen Austausch vergehen Wochen, in denen ich mir den Gegenstand der Auseinandersetzung nicht ansehe. So ist das Review-Spiel. Vergessen tritt ein. Irgendwann kurz vor der Deadline, ein Blick ins Email-Postfach. Ein Moment der Vergegenwärtigung. Verdrängen tritt ein. Das Schreiben gegen die Zeit, schreiben über die Deadline. Ein Schreiben nach der Deadline.
Die Paradoxie am Gegenstand: Ich habe die Funktion von Kunstkritik und Reviews nie als einen notwendigen Zusammenhang betrachtet. Schon öfter wurde mir gesagt, ich solle meine Kritik deutlicher ausformulieren. Ich denke die Kritik und formuliere sie über einen Umweg, sodass sie nur mehr bei genauer Betrachtung aus dem Text blitzt, undeutlich zu erkennen, eine light version. So die Methode. Das ist genau das, was mich bei anderen Texten stört, was ich an anderen Texten kritisiere. In der eigenen Praxis kann ich es nicht einlösen aus Angst, dass es doch jemand liest – was keiner tut. So hat man es sich angelernt, ich zumindest, vermutlich auch Andere, schon lange bevor der Verlust der Kritik kollektiv ausgesprochen wurde. Die Praxis des Review-Schreibens gestaltet sich als eine Praxis des ausgedehnten Formulierens, des Dazudenkens, des Ausbauens von dem, was nicht oder nur im Ansatz vorhanden ist, nicht deutlich erkennbar ist, des Erweiterns, des Auslassens, des Nicht-Adressierens, des Verbergens, der Absenz.
In der Notes-App sammle ich Stichworte, ohne Anfang und ohne Ende. Keine Rechtschreibung. Wochen später landen sie ohne Erinnerung an ihren Ursprung auf dem Pages-Dokument. Erst da beginnt der Prozess. Die Deadline ist hier immer vergangen. Dann beginnt ein Schreib-Krampf, der sich als Monolog im eigenen Kopf austrägt, bis man die eigenen Worte nicht mehr lesen kann.
Rezensent*innen leisten laut gängigen Definitionen eine Form der Übersetzungsarbeit, sind Übersetzer*innen einer anderen Sprache. Reviews werden in Auftrag gegeben. Nicht von Künstler*innen, sondern von Anderen für Andere. Aber wofür? Nicht von Institutionen, sondern von Medien oder manchmal auch als eine Kombination von beiden. Künstler*innen pitchen ihre Ausstellungen für Reviews, werden dann aber nicht reviewt.
Später dann, irgendwann nach der Deadline, wird das Review zu einem Instagram-Post, manchmal. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Es bleibt im Status der Unsichtbarkeit stehen oder eine Form von zirkulierendem Feedback beginnt. Die Künstler*innen, Institutionen oder Kurator*innen sehen es, reagieren auf die Fotos vom Review, dessen Worte man nicht lesen kann. In dieser Parade des Reviews ohne Leser*innen merkt man nur, falls man vergessen hat, zu taggen. Das Feedback als Herz, Doppelklick oder gar nichts: Interaktion mit Geistern.
Die Krise einer Form lässt den Blick auf die Form erst zu.
Die eigene Sprache wird zum Objekt.
Wer liest das? Ich stelle die Frage an mich selbst. Das Ergebnis: Keine konkreten Antworten, außer die eigene Praxis zu überdenken, als Form der Selbstkritik. Mein Vorschlag: Den Status des zeitgenössischen Reviews, oder wenn man ein Präfix anwenden möchte, des Post-Reviews, zu adaptieren. Weniger in Form einer dezidierteren Kritik, sondern in einem Beschwören der Geister, dem Sichtbarmachen der Positionen, der Schreibenden und Lesenden, sowie ein realer Austausch über den Gegenstand der Auseinandersetzung, den Inhalt der Ausstellungen und die eigene Meinung dazu. In Text, Wort und Dialog.
[1] Nach einer kurzen Google-Recherche: „Ein oder eine Review?“ lautet das Ergebnis: Es heißt das Review. Beim unbestimmten Artikel gibt es nur zwei Formen: ein und eine. Für feminine Substantive benutzt man im Nominativ Singular eine. Bei allen anderen – also maskulinen und neutralen – ist in der Grundform ein richtig. Also ein Review.