Wie eine Runde, wie eine Bagage,
wie ein Zugehörigkeitsgefühl
von Barbara Juch

In der Roten Bar des Wiener Volkstheaters findet einmal im Monat Lesen und Tschechern statt — eine experimentelle Reihe mit Text und Musik, die von der Dramaturgin Jennifer Weiß kuratiert wird, und für die ich im Jänner 2023 eingeladen wurde, zu lesen. Froh um die Einladung, habe ich sie daraufhin auf zwei Kolleginnen ausgeweitet: die Schauspielerin und Musikerin Alice Peterhans und die Autorin und Performerin Fanny Sorgo. Man traut sich mehr und kann sich aneinander vergewissern, wenn man nicht alleine kommt. Die Lesung hatte drei Teile; im ersten las ich ein Vorwort, das ich für diesen Abend geschrieben habe, und das zusammengedacht wurde mit tschechernden Menschen in einem Kristallluster-behangenem Raum, mit anwesenden Vorbildern, mit Stimme und Stimmung, mit dem Versuch, eine Gemeinschaft zu denken, ihre Notwendigkeit zu greifen und sie als solche anzusprechen. Dieses Vorwort möchte ich durch diese, und eine weitere Einleitung, in den Kontext von niche fame stellen.



Jenny nimmt das Mikrophon aus dem Stativ des Lesetisches, an der Bar wird noch bestellt, der Raum ist gehörig voll, ich stehe neben der Bühne und bin dankbar, denn alle Runden sind gekommen: Die Kärntnerrunde, die Leute von der Akademie, vom Atelier, sogar ein paar Vertreterinnen der Fortuna Runde sind da, und nicht zuletzt (Nervosität steigt), die Kolleg:innen aus der Theaterwelt. Es fallen ineinander: Intimität und Öffentlichkeit, Herkunft und Zukunft, Theater und Dialekt. Jenny sagt, „So, es geht los“, eröffnet den Abend, stellt mich vor. Ich sei nicht nur Autorin, sondern auch eine Kollegin aus einer feministischen (Wiener) Theaterszene, und dort haben sich Bezüge aufgetan und Kolleg:innen formiert, die heute Abend anwesend sind, und die in den vergangenen Kooperationen und zukünftigen Vorhaben erwähnt werden wollen. Es handelt sich um eine Bagage, die weder seit kurzem, noch zufällig, und auch nicht vorübergehend zusammengekommen ist, und die für jeden offen steht, der dazu zu kommen vermag. Die ‚Nische’ ist in diesem Fall ein Möglichkeitsraum, wo man sich schützt und gegenseitig stärkt, und wo ein Zugehörigkeitsgefühl herrscht, das den Boden bereitet für jene Kompromisslosigkeit, ohne der man (künstlerisch) nicht handeln will. Wir sind hier zwar innerhalb einer großen Institution, aber es tummelt sich verschwörerisch und das famous wird füreinander zelebriert. Ich setze mich an den Tisch mit dem guten Mikrophon, sage „Hallo, schen, dass ihr ålle då seids“, trinke einen obligatorischen Schluck Spritzer, lege den ersten Stein.



      Die Gefahr besteht nicht darin, mit der Stimme zu zittern; sich lächerlich zu machen; zu behutsam zu bleiben; die Gefahr besteht darin, herumzusitzen mit einer eintrainierten Sprache und in einer abgelaufenen Funktionskleidung und das in einer längst nicht mehr beweglichen und ansprechbaren Welt. Das war jetzt ein etwas harter Einstieg, Entschuldigung, aber was soll ich machen, wenn das ewige Eis im Aperol Spritz’ längst unwiderbringlich geschmolzen ist, aber man lieber über den unfreundlichen Kellner spricht? Auch ich liebe falsches Timing, spreche von Neuanfängen und suche die Terz in jedem Gespräch. Ein Kärntnerlied: Trågt da Wind mi gach ham-zua in da ruhign Stund, kånnst nix måchn muastas nehman, håt jå ålls an Grund, kånnst nix måchn muastas nehman, håt jå ålls an Grund.

      (Pause)


      Die Zeit ist uns also ausgegangen, und das in einer Geschwindigkeit, die wurde von den meisten Menschen in diesem Raum bestimmt nicht vorgelegt, wir schreiben längst wieder per Hand, das Pauspapier fliegt durch den Wiener Wind. Ist es denn sportlich, von einem Ende her zu denken?  Kriegen wir unsere Münder mit den geraden und den ungeraden Zähnen noch auf? Für was? FIR WÅS? Ohmy. The truth is like poetry, and most people fucking hate poetry und an der Supermarktkasse wird es zunehmend abstrakt. Habe im Radio gehört, Angelobungen passieren nur mehr im Schnelldurchlauf, Nationalhymnen werden nur mehr heruntergerattert, Siegelringehände werden nur mehr angeschüttelt, die Scherben dem nächsten hinübergeworfen, null schön sind sie anzuschauen. Meine Schwester würde über Scherben zu Recht etwas anderes sagen, aber sie hat auch die Fähigkeit, sie bis ins Mittelalter zu datieren und alle Türschnallen im Wiener Parlament auf Höhe der Wahrheit anzubringen; wer da noch dranbleiben kann, der möge sich melden, freiwillige Krawattenträger voran.

      Lesen und Tschechern
also. Noch nie ist es mir in den kontrollieren Sinn gekommen, beides gleichzeitig zu tun, wo käme dann der Rhythmus hin, es lallt sich so schwer durch ein Gedicht. Aber um die Auflockerung soll es heute Abend gehen, denn müde sind wir gekommen, das Herz ist irre und dieser Jänner hat uns alle auf den Boden geprackt. Zur Dichtung: Eine Frau fragt, ihr ist schon ganz bang: „Darf ich dir mein neues Gedicht vorlesen, es dauert auch nicht sehr lang?“ Wesensarten kann man auf unterschiedlich zusammenfassen, aber ich denke, immer hat es etwas mit Raum zu tun und wie viel man sich von ihm nimmt. Aber wenn die Sprache eine der wenigen Orte ist, vielleicht bleibt sie der einzige, Mundbesitz, sollte ich dann nicht lieber weitläufige Sätze schreiben, damit ich mich mit meinem müden Oberkörper drauflegen kann? Mein Bett ist frisch gemacht.

      (Pause)


      Was ist das hier, ein offen gelegtes Selbstgespräch, ein ewiges Vorwort (Leben fängt nicht an) und wo kein Geheimnis ist, da ist auch nichts zu finden, und wo du deine Bauchmuskeln nicht anspannst, da ist kein lautes Rufen drin?

      „Darf ich dir mein neues Gedicht vorlesen, es dauert auch nicht sehr lang“ ist aber auch eine Frage, die aus meinem immerwährenden Hobby entstanden ist, der lieben, ewigen Bringschuld. Kennt ihr? Habe mir jedenfalls die besten Bergschuhe gekauft, um aus ihr herauszutreten, denn wenn ich was kapiert habe, wenig, dann das: Genau in dem Moment, wenn du in ihr Meisterin wirst, der Bringschuld Meisterin, genau dann macht sie dich hin.

      Trågt da Wind mi gach ham-zua in da ruhign Stund, kånnst nix måchn muastas nehman, håt jå ålls an Grund, kånnst nix måchn muastas nehman, håt jå ålls an Grund, kånnst nix måchn muastas nehman, håt jå ålls an Grund, kånnst nix måchn muastas nehman, håt jå ålls an Grund.

      (Pause)

      Während Leute anderorts also um ihr Leben reden — ich hab sie gesehen, hab mit ihnen in den berühmtesten Straßenschluchten der Welt gesprochen — wird anderorts sehnsuchtsvoll etwas ausgehaucht, meistens in der Türschwelle; eine Kummernote des Alltags, ein über Jahrzehnte vervollständigter Gedanke, ein laute Emotion über das Leid der anderen, und dann wird sich ins stille Haus zurückgezogen und das Licht des bereits dunkel gewordenen Tages wieder angemacht. Mit dieser Sprache im Rücken, im Nacken, in den Händen, Räuberleiter ins Bürgertum immer durchgeknackst, wollte ich verkleidet wieder heimkommen, uralte G’schicht, aber mit den aufgehellten Vokalen verstand man mich nicht. Viel Verwirrung, viel Sehnsucht, viel unterwegs.





Monika Rinck, in Risiko und Idiotie: Das Risiko besteht nicht in Verfolgung, sondern darin, ungelesen oder missverstanden zu bleiben und darüber bitter zu werden, oder sprachlich zu vereinsamen, in einer nicht mehr länger ansprechbaren Welt.

Ilse Aichinger, in Das Erzählen in dieser Zeit: So liegt auch heute für den Erzählenden die Gefahr nicht mehr darin, weitschweifig zu werden; sie liegt eher darin, dass er angesichts der Bedrohung und unter dem Eindruck des Endes den Mund nicht mehr aufbekommt.

Ingeborg Bachmann, in Malina: Wo kein Geheimnis war, wird auch nie etwas zu finden sein.

Der Text des Kärntnerliedes, Tråg mi, Wind, ist von Brigitte Hubmann.

Jennifer Weiß erwähnte die Kolleginnen Claudia Bossard, Lydia Haider, Veronika Steinböck, Elisabeth Weiß, Julia Franz Richter, und Annalena Fröhlich.